Mütter in mehr als einer Dimension

Blick in die Ausstellung mit Ron Muecks hyperrealistischer Skulptur "Mother and Child" (2001-'03) und Alice Neels Gemälde "Pregnant Julie and Algis" (1967)
Die Schau „Rabenmütter“ im Linzer Lentos Museum widmet sich Mutterbildern auf kluge Weise.

Ein kleines Kind läuft über eine Wiese. Eine Kamera, auf einem Stativ fixiert, hält die Szenerie fest, das Kind nähert sich dem Waldrand, die Kamera bleibt starr. Schließlich rennt die Mutter durchs Bild, dem Kleinen nach: 51 Meter, hält eine Einblendung fest, beträgt „The Distance I Can Be From My Son“, die größte Entfernung, die zwischen der Künstlerin Lenka Clayton und ihrem Sohn in dieser Situation möglich war.

Das Video-Experiment der 1977 geborenen Britin ist einer der vielen Beiträge in der Schau „Rabenmütter“ im Linzer Lentos Museum, die Momente des Mutterseins in eine originelle und zugängliche künstlerische Sprache übersetzen.

Leben wird Kunst

Die Ausstellung, von Sabine Fellner, Elisabeth Nowak-Thaller und Lentos-Direktorin Stella Rollig kuratiert, ist das rare Beispiel einer Themen-Schau, die ihren Gegenstand nicht nur illustriert oder referiert, sondern ihn durch Kunst tatsächlich greifbar und begreifbar macht. Das liegt einerseits gewiss an der Universalität des Themas, aber auch an der Qualität der gezeigten Werke.

Die „Mütterbilder von 1900 bis heute“, so der Untertitel und zeitliche Rahmen der Schau, entspringen oftmals Emotionen und Situationen, die auch Väter und Nicht-Eltern nachvollziehen können – etwa die Sorge um das Kleinkind im obigen Video. Für Erfahrungen, die nur Müttern zugänglich sind – allen voran der Prozess der Geburt selbst – fehlte Künstlerinnen in der Vergangenheit oftmals die Plattform zur künstlerischen Umsetzung.

Otto Dix’ Gemälde „Geburt“ von 1927, das in der Schau hängt, zeigt, wie ein Mann am Thema scheiterte – es ist eine ungelenke Studie von Beinen und Leintuchfalten, in die ein Neugeborenes hineingepinselt wurde. Ungleich drastischer ist die Ölskizze zum Gemälde „Die schwere Stunde“, mit der Charlotte Berendt-Corinth 1908 eine Frau in den Wehen darstellte: Ihr Mann, der viel bekanntere Maler Lovis Corinth, beschränkte sich darauf, Charlotte als nachdenkliche Schwangere im Seidenmantel abzubilden.
Schon das Spektrum der gemalten Mutterbilder des frühen 20. Jahrhunderts – von einer idealisierten, im Bild fixierten Frau hin zu einer Figur, die sich im Bildraum wie auch im übertragenen Sinn „frei bewegen“ kann – würde eine kunsthistorische Ausstellung tragen.

Mütter in mehr als einer Dimension

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Mütter in mehr als einer Dimension

Mehr als Mutterbilder

„Rabenmütter“ geht weiter und zeigt Kunst, die – oft aus der Mutter-Perspektive heraus – nicht nur die Figur und den Körper von Müttern, sondern auch das Geflecht von Rollenzuweisungen, Erwartungshaltungen und Beziehungen visualisiert.

In manchen Objekten – etwa dem „Schnuller-Brautstrauß“ der Wiener Aktionistin Renate Bertlmann von 1977 – ist die Auflehnung gegen repressive Mutterrollen konserviert; aus anderen Werken wie dem Film „Gutes Ende“ (2011) sprüht Liebeund Akzeptanz: Friedl vom Gröller (so nennt sich die Fotografin Friedl Kubelka als Filmerin) hielt darin den Abschied von ihrer eigenen greisen Mutter fest, die Intimität der Szene erschreckt, und doch wirkt sie über jeden Voyeurismusverdacht erhaben.

Insgesamt ist das Leben mit Kindern und Müttern selbst ein ständiges Balancieren von Intimität und Integrität, von Vorstellungen und Wirklichkeiten: Die Stärke der Kunst hier ist, dass sie sich eben nicht stereotyper Begriffe wie der „Rabenmutter“ bedienen muss, sondern Vielfalt und Widersprüchlichkeit erfassen kann. Ungeachtet des etwas irreführenden Titels kann das Lento Museum dies eindrucksvoll unterstreichen: Diese Ausstellung steckt voller Leben.

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