KURIER: Was bedeutet Ihnen Österreichs größter Satiriker, dieser „wienerische Aristophanes“, wie Nestroy schon zu Lebzeiten genannt wurde?
Michael Niavarani: Er ist für mich ein lebenslanger Freund, der mir mit Ratschlägen fürs Leben genauso zur Seite stand wie mit Tipps fürs Komödienschreiben.
„Seine Blicke sind die Noten, nach welchen die Nachtigallen in Persien die Rosen besingen.“ Alles begann für Sie mit diesem Satz, der aber in keinem Nestroy-Stück vorkommt – nur als Notiz in seinen Schriften.
Ja. Persien, Nestroy, Wien und diese erotische Komponente, das war damals sicher die Initialzündung für mich. Meine zynisch-komödiantisch-satirische Gehirnwindung ist durch Nestroy total getriggert worden. Meine Lebenseinstellung habe ich von seinen Figuren. Und wenn man einmal den Staub der Alt-Wiener Posse weggewischt und sich durchgekämpft hat, sieht man in der Essenz, dass das zutiefst menschlich ist, was Nestroy schreibt.
Sein Credo lässt er eine seiner Figuren sagen?
Ja. „Bis zum Lorbeerbaum versteig’ ich mich nicht. G’fallen sollen meine Sachen, unterhalten, lachen sollen d’Leut, und mir soll die G’schicht a Geld tragen, dass ich auch lach’, das ist der ganze Zweck.“
Das Theater im Park wird am 4. Mai mit der Premiere der Simpl-Revue „Krone der Erschöpfung“ eröffnet. Könnte man dort Open Air nicht auch Nestroy aufführen? Die von ihm meistgespielte Rolle war der Knieriem im Lumpazivagabundus. Ein versoffener Schuster, der vom Weltuntergang durch den Kometen überzeugt ist. Und der sich als Opfer des Alkohols sieht.
Das wäre eine Möglichkeit. Weltuntergang ist immer ein gutes Thema, vom Saufen ganz zu schweigen. „Wann ich mir meinen Verdruss nicht versaufert, ich müsst mich grad aus Verzweiflung dem Trunk ergeben.“ Eine Liebesgeschichte gibt es auch, und es geht endlich einmal nicht um Corona.
Als „Witzearchäologe“ erklären Sie im Buch viele Anspielungen von vor 150 Jahren, die heute nicht mehr sofort zu verstehen sind.
Das ist das Schicksal der Komödie: Dass in der Theaterliteratur eher die Tragödien überbleiben, weil die Komödie ohne direkte Anspielungen auf die Zeit nicht auskommt. Und der Lacher in der Komödie hauptsächlich dadurch entsteht, dass das Bühnengeschehen sehr direkt mit dem Leben der Menschen im Publikum zu tun hat. Nestroy hat viele Pointen und Sätze, die zeitbezogen waren, aber den Menschen, wie er ist, beschreiben. Die versteht man heute auch ohne Fußnote.
Dabei hatte er mit seinen 83 Stücken eigentlich mehr Misserfolge als Erfolge.
Aber selbst in den Stücken, die das Publikum nicht angenommen hat, gibt es großartige Szenen. Er hat das Handwerk der Komödie großartig beherrscht.
Und wie muss man sich Nestroy, der nahezu jeden Abend auf der Bühne stand, privat vorstellen?
Schüchtern. Sehr höflich. Auch privat immer elegant gekleidet. Ein Frühaufsteher. Er hat gerne Karten gespielt, allerdings schlecht, und dabei viel Geld verloren. Er war ein Komikerstar, den man auf der Straße erkannte. Und er hatte eine große Libido.
Seine Affären waren ja stadtbekannt.
Ja. Und als ich selbst einmal betrogen wurde, hat mir Nestroy ein bisserl geholfen: „Was tut man in so einer Lage? Kleine Seelen lamentieren, hochherzige Männer nehmen sich eine andere, und die ganz großen Geister haben schon immer eine im Vorrat, so wie es jetzt bei mir der Fall ist. Ich war großer Geist, ohne es zu wissen.“
Ein zutiefst menschlicher Moment, den er da komödiantisch in einer Wiener Posse beschreibt.
Wie er die Menschen charakterisiert, das ist wirklich ganz nah an der menschlichen Seele. Und noch komisch. Hätte Nestroy nicht Possen geschrieben, und die auf Wienerisch, würde er in der Weltliteratur gleichwertig neben Schiller, Goethe und Shakespeare stehen. Aber weil er halt ein Komödiant und kein Literat war, und weil ihn das Schreiben als Schriftsteller, glaube ich, auch gar nicht interessiert hat, wurde er nie so geschätzt in der Literatur, wie es ihm eigentlich gebührt.
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