Michael Amon über die Hölle Internat
Gut, dass er zwischendurch schimpft und flucht. "Mögen sie in der tiefsten Hölle schmoren und niemals Vergebung finden!"
Das hat nicht nur
Michael Amon beim Schreiben seines autobiografischen Romans "Fromme Begierde" gebraucht.
Das ist auch während des Lesens wichtig.
Man stelle sich vor: Da kotzt ein Kind, sieben, acht Jahre alt, das schlechte Essen raus, das ihm von einem Erzieher zuvor in den Mund gezwungen wurde - jetzt muss der Bub zur Strafe sein Erbrochenes essen, mit dem Löffel.
Segne, was du uns bescheret hast?
Michael Amon, 1954 geboren, erinnert sich an seine 1960er-Jahre: ans Internat der katholischen Erneuerungsbewegung Bund Neuland, Wien-Laaerberg, das bei den laufenden Missbrauchsermittlungen noch nicht den gebührenden Platz gefunden hat.
Die Schläge, die Penis-Kontrolle, das Foltern mit brennheißem Badewasser, die Verhöhnung der Bettnässer: Beim Machtgenuss der Erzieher schauten die Lehrer weg.
Sadisten
Da ist sie wieder: die gute Idee. Kinder wurden von der Straße geholt; und sie durften die Lehrer und Erzieher duzen; und der Lehrertisch stand auf keinem Podest mehr.
Die ersten Neuländer zogen sich zurück, Sadisten übernahmen nach dem Krieg das Kommando. Egal, ob in katholischen Einrichtungen oder staatlichen.
Amon war ein geliebtes Kind. Er wuchs bei der Großmutter auf. Um es besser zu haben, wurde er abgegeben, mit Mannerschnitten-Bruch in der Essdose. Großmutter konnte
inzwischen Geld verdienen.
Klingt schön: Im Sommer fuhren die Kinder ins
Neuland-Heim nach Bad Ischl ...
"Friss endlich!"
Ohrfeige links, Ohrfeige rechts.
Der Schriftsteller wundert sich selbst, was er alles nicht vergessen hat.
Bis auf die paar Wutausbrüche ist der Roman ruhig, sachlich, mitunter ironisch. Er schont niemanden. Er klärt auf. Ist Dokument. Erzählt nebenbei die Ursprungsgeschichte des Neuland-Bundes.
Fast alle werden beim Namen genannt. Man schaut dauernd hinten im Buch bei den Biografien nach: Friedl Menschhorn, der Allerschlimmste, schwärmte bis zu seinem Tod 2006 von der großen Vergangenheit als Pädagoge.
Ob alles gut vernarbt ist? Er halte "Internatssituationen" nicht aus, sagt Amon zum KURIER.
"Ich bin dann ja in die HAK weitergegangen ohne Internat. Da haben sich alle auf den Skikurs gefreut. Ich nicht. Mir war der Gedanke, wieder mit anderen Menschen, die ich mir nicht ausgesucht habe, in einem Zimmer zu schlafen, total zuwider. Ich werde heute noch ziemlich ungehalten, wenn man mir mit Vorschriften kommt, deren Sinn ich nicht erkennen kann."
Seine Großmutter hatte zehn Jahre Asbest-Dichtungen gestanzt, ohne Mundschutz. Amons Angst war groß, sie könnte eines Tages nicht mehr da sein.
Großmutter hielt durch. "Sie ist drei Wochen vor meiner Matura an Bronchialkrebs gestorben, als sie das Gefühl hatte,
mich sicher ans Ziel gebracht zu haben."
Bitte ein eigenes Buch über diese Frau; und in der heutigen Neuland-Schule eine offene Diskussion.
KURIER-Wertung: **** von *****
Bernhard Aichner - "Für immer tot"
"Beschissen" ist in diesem Buch vieles, und es gibt viel "Scheißdreck". Und dauernd ist der Hauptdarsteller besoffen, was am Ende dazu führt, dass er im geblümten Frotteebademantel seiner Freundin auf die Straße rennt.
Verständlich, denn erstens sagt sein Freund dauernd "Halt die Klappe" zu ihm und zweitens hat er es mit einem wirklich bösen Gegenspieler zu tun, einem "verdammten Schwein" (wahlweise "aalglatte Sau"). Noch dazu sehr fruchtbar: "Dieses Schwein hat sie befruchtet." (...) "Irgendwie hat er es hinbekommen, er hat ihnen dieses Kind gemacht ..." Wie er das wohl gemacht hat?
Die Geschichte um Totengräber Max und seine Freundin Hanni vom Würstelstand, von deren großen Brüsten oft die Rede ist, ist spannend. Und weitgehend originell. Freilich, einen superintelligenten Bösen, der aus dem Gefängnis heraus Schreckliches anstellt, kennt man spätestens seit Hannibal Lecter. Dennoch ist " Für immer tot ", der zweite Max-Broll-Krimi des 38-jährigen Innsbruckers
Bernhard Aichner ein aufregendes Buch.
Eine Frau wird lebendig begraben, irgendwo im Wald. Ihr Handy ist die einzige Verbindung zur Außenwelt. Die Polizei kann das Handy nur in einem Umkreis von acht Kilometern orten. "Der Netzbetreiber sagt uns nicht mehr."
Aichner vertraute bei seinen Recherchen auf einen Innsbrucker Polizisten. Da kann man nur hoffen, dass man, wenn's denn sein müsste, in Wien und nicht in Innsbruck begraben wird: Die Wiener Polizei verwendet in so einem Fall einen IMSI-Catcher, mit dem die auf der Mobilfunk-Karte gespeicherte "International Mobile Subscriber Identity" gelesen und der Standort genau bestimmt werden kann.
Am Ende landen zwei Handys in der Fritteuse. - Barbara Mader
KURIER-Wertung: **** von *****
Walter Moers - "Das Labyrinth der Träumenden Bücher"
Der allerletzte Satz. Die Ankündigung, dass "Das Labyrinth der Träumenden Bücher" irgendwann fortgesetzt wird.
Womit hat man seine Zeit vertan? Mit der Vorbereitung für Größeres. Mit der Ideensammlung für Späteres. Mit einem Lindwurm, der dichtet und sich schuppt noch dazu und der 2004 ("Die Stadt der Träumenden Bücher") abenteuerlichen Erfolg hatte. Damals stand auch "Hier fängt die Geschichte an". Mit dem Unterschied, dass trotzdem der Bär gesteppt hat. Sozusagen.
Silbensalat Hildegunst von Mythenmetz heißt die Hauptfigur, in die der öffentlichkeitsscheue Autor und Zeichner Walter Moers regelmäßig schlüpft. Zamonien heißt das Land. Buchhaim die Stadt, in der man Silbensalat isst und Essays über Fettwucherungen des Karfiols rezitiert. Buchhaim hat 5000 Antiquariate und liegt westlich der Süßen Wüste.
Abgebrannt ist die Stadt im vorangegangenen Roman und aus Büchern neu aufgebaut worden. Das war vor 200 Jahre, und jetzt schaut der Lindwurm wieder einmal vorbei. Aha, es gibt Lebende Zeitungen. Soso, es gibt Bücher, die Ratten fressen ...
Moers spielt mit der Literatur und mit uns. Einfallsreich ist das. Ein Blabla ist das. Der Ärger überwiegt diesmal.
KURIER-Wertung: *** von *****
Kommentare