Beim South by Southwest Festival in Austin, Texas, wurde die Doku „Joan Baez I Am A Noise“ vorgestellt, die sofort Wellen schlug. Denn die berühmte Folksängerin war vorher noch nie so tiefgehend porträtiert worden. Die Regisseurinnen Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O'Boyle hatten vorher gesellschaftspolitische Dokus über Transgender-Kinder und den Klimawandel gemacht. Aber nie Biografien. Doch O’Connor kannte Baez seit über 30 Jahren persönlich. Die Filmemacherinnen beschreiben die Sängerin als humorvoll; „sie hat eine lange Geschichte und sie ist immer noch sehr aktiv“. Was letztlich der Grund war, dass es so lange dauerte.
KURIER: Es gab ein langes Hin und Her, ob und wann gefilmt wird. Hatten Sie Vorbehalte?
Joan Baez: Ich war auf Tournee, auf meiner letzten. Ich habe das Angebot vorher bekommen und die ganze Tournee darüber nachgedacht. Als sie vorbei war, haben wir zu drehen begonnen.
Sie sind 82. Die erste Szene im Film zeigt Sie, wie sie sagen, „ich muss jetzt aufs Laufband.“
Ja! Man muss doch aktiv bleiben.
Wie lange wurde für die 90-Minuten-Doku gefilmt?
Wir haben 2013/’14 ein, zwei Szenen gedreht, aber so richtig los ging es erst 2017. Es hat sechs Jahre gedauert, bis wir hier gelandet sind.
Wir bekommen das öffentliche, das private und das geheime Leben von Joan Baez zu sehen. Haben Sie den Regisseurinnen so vertraut?
Am Anfang stand sicher die Freundschaft mit Karen. Und es war der richtige Zeitpunkt in meinem Leben, Bilanz zu ziehen, mich mit meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, um mich auf meine Zukunft konzentrieren zu können.
Der Film lässt nichts offen. Hatten Sie Angst, dass es zu intim wird?
Ich habe schon lange gefühlt, dass es an der Zeit ist, ein ehrliches Erbe zu hinterlassen. Ja, es wird sehr persönlich in diesem Film. Und das wäre nicht möglich gewesen, wenn meine Eltern noch am Leben gewesen wären.
Sie verraten, dass Sie am Höhepunkt Ihrer Karriere paralysierende Panikattacken hatten, obwohl Sie als Kind immer gewusst haben, dass Sie im Mittelpunkt stehen wollen. Wie haben Sie sich das selbst erklären können?
Ich habe es an die Grenzen getrieben, als ich endlich, endlich die Aufmerksamkeit meiner Schulkollegen bekommen habe. Aber vielleicht war ja da auch ein bisschen Angst mit im Spiel. Aber die späteren Panikattacken haben mich gekillt. Wenn ich mir heute Aufnahmen ansehe, dann sehe ich eine Frau, die ihr Gesicht hinter ihren Haaren versteckt und sich an ihrer Gitarre festklammert. Meine Gitarre war wie ein Schutzwall gegen alles, was mir Angst eingejagt hat.
Wie wichtig war es, das preiszugeben?
Jeder hat doch etwas, leidet an etwas, über das er nicht sprechen kann oder an das er sich nicht erinnern kann oder will. Ich hatte ja keine Ahnung, dass meine Offenheit das Leben so vieler Menschen, die die Doku sehen, verändern könnte. Es kommen so viele Leute auf mich zu, um mir zu danken, dass ich darüber gesprochen habe. Das macht mich sehr glücklich.
Sie sind bekannt für Ihr soziales Bewusstsein, das sich auch in Ihren Texten ausdrückt. Sie sagen im Film: „Mein soziales Bewusstsein wurde in mir geboren, bevor ich eine Stimme hatte.“ Wann hat das begonnen?
Meine Eltern waren Pazifisten und wurden offiziell Quäker, als ich acht war. Ich bin mit Diskussionen über Gewaltlosigkeit, über den Staat im Gegensatz zu Menschenrechten aufgewachsen. Ich habe meine erste Demo mit meinen Eltern besucht. Es war ein Protest gegen Bombenschutzkeller. Meine Eltern waren sowieso gegen Bomben, wozu als Schutzkeller. Wir kämpften gegen die Bomben, und meinem Vater wurden wassergefüllte Ballons an den Kopf geworfen. Das war der Beginn seines lebenslangen Aktivismus. Und für mich war das alles sehr normal.
Ihr Vater war einer der Erfinder des modernen Röntgens. Aber Sie beschreiben auch seine weniger brillante Seite, seine gewalttätige Seite. Wie sehen Sie Ihren Vater heute? Meine Mutter hatte kein Talent für Wissenschaft, und wir alle verstanden nie, wie gut er war. Ich glaube, das hat ihn sehr frustriert. Wenn ich jetzt zurückblicke, sehe ich seine guten Seiten, wie sehr ich ihn geliebt habe, und wie sehr er mich und meine Schwestern geliebt hat. Auf der anderen Seite – und damit kämpfe ich manchmal – ist da auch die Erkenntnis, dass das Böse im Menschen existiert. Irgendwann musst du sagen, okay, ich verzeihe ihm. Das ist nicht einfach. Mir hat ein sehr intelligenter Buddhist mal gesagt: „Du verzeihst immer wieder ein bisschen. Du tust, was du kannst.“
Sie haben sich als Musikerin, als Sängerin zurückgezogen und Ihre Gitarre an den Nagel gehängt… Wie sind Sie an dem Punkt angelangt, wo Sie sagen konnten, okay, jetzt gehe ich in Pension?
Ich habe, als ich in meinen 30ern war, einen Gesangslehrer gefragt, „wie werde ich wissen, dass es Zeit ist aufzuhören?“, und er hat gesagt, „Deine Stimme wird es dich wissen lassen.“ Und es ist wahr, ich sage es auch im Film: Die Stimme wurde eine immer größere Herausforderung. Ich konnte mich nicht mehr hören, klang nicht mehr so, wie ich es mir erwarte. Und all die Stimmübungen haben nicht geholfen. Drei Jahre lang habe ich immer wieder gesagt, das ist das letzte Konzert, und dann wars das doch nicht. Aber eines Tages sagte ich zu meinem Manager, dass wir mein letztes Konzert planen müssen. Und entscheiden, wie und was es sein soll. Wir machten es publik, aber keiner glaubte uns, weil ja so viele Musiker sagen, dass sie aufhören, es dann aber nicht tun.
Vermissen Sie es? Die Liveshows, die Auftritte?
Ganz ehrlich, nein. Ich habe null Sehnsucht danach, und meine Finder sind sowieso Spaghetti. Ich könnte gar nicht mehr Gitarre spielen, selbst wenn ich wollte. Zum Glück will ich gar nicht.
Sie können auf ein sehr erfolgreiches Leben mit unglaublicher Kreativität zurückblicken. Worauf sind Sie am meisten stolz?
Es gibt einige Momente, immer wieder im Laufe meines Lebens. Ich kann sagen, ich war ein Teil von etwas Wichtigem. Musikalisch und politisch. Orte fallen mir da ein, für die besten Konzerte, wie das in der Türkei, wo 25.000 Menschen die Welle machten, als die Sonne hinter den Ruinen unterging. Und dann ist da natürlich der Marsch auf Washington mit Dr. Martin Luther King. Und Bob Dylan in unseren Jugendtagen. Alles wunderbare Momente und Erinnerungen.
Joan Baez wurde 1941 in New York als Kind eines Mexikaners und einer Schottin geboren und verbrachte ihre Kindheit innerhalb und außerhalb der USA. 1958 gab sie ihr erstes Konzert als Folksängerin. Baez spielte beim Woodstock-Festival 1969 und blieb musikalisch und politisch aktiv, bis sie 2019 ihre Musikkarriere beendete.
Der Film „Joan Baez I Am A Noise“ wurde im Februar auf der Berlinale gezeigt. Ein Termin für den regulären Kinostart in Österreich steht noch nicht fest.
Kommentare