Mehrmals sterben, dann wird man vielleicht bescheiden

Geistreich, machtbewusst, eitel, jähzornig: Elias Canetti
Statt noch einen Roman zu schreiben, hat sich Elias Canetti lieber geärgert.

Elias Canetti (1903–1994) und der Tod: Das ist witzig.

Selbstverständlich ist es zunächst traurig. Denn der Literatur-Nobelpreisträger von 1981 hatte ja recht: Eine Schweinerei ist der Tod – das ganze Wissen, das man sich mühevoll angeeignet hat, ist mit einem Schlag weg.

... und deshalb müsse man Widerstand leisten. Den Tod beschimpfen. Ihn hassen. Sich niemals abfinden mit dem Ende. Viele, viele Bücher kaufen – auch aus Trotz, denn: "Ich will nie wissen, welche dieser Bücher ungelesen bleiben werden ... unter allen Büchern um mich herum kann ich jederzeit frei wählen und habe dadurch den Verlauf des Lebens immer IN MEINER HAND."

(Seine Bibliothek umfasste 20.000 Bände.)

Naja. Wenn man es so sehen will. Die Buchhändler freut’s bestimmt.

Bei Goethe

Witz hat eine Notiz aus dem Jahr 1980. Elias Canetti schreibt eine Lebensphilosophie auf:

"Versuch, ein Leben so anzulegen, dass man mehrmals darin stirbt. BESCHEIDENE, nicht lärmende Rückkehr."

Bescheidene (dick unterstrichen hat er dieses Wort) ... das klingt zum Lachen: Canetti brachte sich selbst immer wieder in die Nähe Goethes und Dantes.

Kollegen wie Max Frisch, Grass, Thomas Bernhard ..., die ließ er nicht gelten. Die Wiener Schriftstellerin Hilde Spiel nannte ihn deshalb "eine Giftspritze".

Und witzig, diesmal absichtlich witzig (denn das konnte Canetti auch sein), sind seine gesammelten skurrile Gedankengänge:

"Sein Gummiband, an dem er sich täglich aufhängt."

"Gestern sterben, sein neuester Trick."

"Adam erdrosselt Gott; Eva sieht zu."

"Er ist tot. Aber er mag diese Leute nicht um seine Leiche."

Lebensversicherung

"Das Buch gegen den Tod" hätte ein anderes werden sollen. Ein Roman, für den Canetti ab dem Jahr 1942 Notizen machte: kurze Texte, Aphorismen, Pläne – etwa jene Überlegung für einen Romanstoff:

Der Verteidiger des Todes als Hauptfigur (dessen Todfreund gewissermaßen) hält sein Plädoyer, wie notwendig das Sterben ist (die Welt ist zu klein usw.) – bevor Elias Canetti, als Todfeind des Todes, mit seinen Argumenten zurückschlägt.

Nichts wurde aus dem großen Werk. Aus Scheu vielleicht. Aus Furcht, zu viel zum Thema könnte für den Autor tödlich enden. Oder als Canettis Lebensversicherung, um nicht zu sterben, bevor es fertig ist?

Er litt unter seinem Unvermögen, und man kann sich vorstellen, wie er angesichts von Briefen reagiert hat, in denen gebeten / gefordert wurde, er soll nach "Die Blendung" doch endlich noch einen Roman schreiben.

Jähzorn war dem gebürtigen Rumänen (der bis 1938 in Wien lebte, danach in London, zuletzt in Zürich) nicht fremd.

Nonstop Tod

Es blieben mehr als 2000 Seiten "Material", aus denen jetzt eine Auswahl getroffen wurde. Vieles wird zum ersten Mal veröffentlicht.

Nonstop Tod. Das hält man überraschenderweise aus.

Man spürt Größe und Lächerlichkeit, man kann sich wundern und betroffen sein.

Elias Canetti starb im Schlaf. Wozu also regt er sich so auf?

KURIER-Wertung:

INFO: Elias Canetti: „Das Buch gegen den Tod“ Nachwort von Peter von Matt. Hanser Verlag. 352 Seiten. 25,60 Euro.

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