Von der Kunst, chinesisch zu sein

Kompatibles Narrativ: Der chinesische Kunst-Superstar Ai Weiwei vor seiner Installation „Law of the Journey 2017“ bei der Biennale im australischen Sidney
Die Arbeiten aus dem Reich der Mitte sind leicht zugänglich, aber auch brutal obsessiv

Die größte Delegation aller Zeiten bewegte sich dieser Tage durch das größte Wirtschaftswunder unserer Zeit. Die Regierungsriege rund um Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat jedoch keine Ankäufe geplant (Seite 4) . Kein Wunder, chinesische Kunst ist entweder riesig und beschäftigt sich mit den großen Ungerechtigkeiten unserer Zeit, schlag nach bei Ai Weiwei und dessen Arbeiten zu Menschenrechten und den großen Flüchtlingsbewegungen, die schon im Wiener Belvedere zu sehen waren. Oder aber sie sind schwerst zugänglich und mit den westlichen Moralvorstellungen kaum vereinbar. Ein Land der extremen Umbrüche zeitigt auch extreme Ausdrucksformen.

Can’t touch this

Wie sehr die Wertewelten hüben und drüben aufeinanderkrachen, zeigte 2017 die Aufregung um die Ausstellung „Where the Wild Things Are“ im New Yorker Guggenheim Museum, das die chinesische Kunst nach 1989 im Blick hatte. Mit dabei war ein Video einer Installation von Sun Yuan und Peng Yu, die den Namen „Dogs That Cannot Touch Each Other“ („Hunde, die einander nicht berühren können“) trug. Das 15 Jahre alte Video zeigt Kampfhunde, die, jeweils auf Tretmühlen eingespannt, vergeblich zueinander hetzten.

Geht das? Nein, sagt die US-Moral. Nach wütenden Protesten und Drohungen kippte das Museum das Video aus dem Programm. Die Aufregung um das Stück warf auch international ein Schlaglicht auf eine Zeit des Aufbruchs in China, in der sich das Land künstlerisch zu einer Art radikalerer Wiener Aktionismus zusammengefunden hatte. Im Fokus stand hier nicht (nur) der eigene Körper, sondern der Tierleib: Junge Künstler tätowierten Schweine, ließen sie am offenen Herzen operieren oder machten aus westlicher Lesart noch Verabscheuungswürdigeres.

Xu Zhen, heute zweites großes internationales Aushängeschild der chinesischen Kunstavantgarde, warf zur Jahrtausendwende eine tote Katze gegen eine Wand. Schockierenderweise hatte er das Tier davor gekauft und für sein Werk stranguliert. Heute fungiert Zhen als eine Art chinesischer Damien Hirst, der über eine Kunstfirma herrscht, die weit leichter verdauliche Werke produziert. Etwa ein Supermarkt mit vollen Regalen, deren Verpackungsinhalte aber leer sind. Die Besucher konnten bei der Installation mit den Objekten zur Kasse gehen, um sie käuflich zu erstehen. In diesem Kontext fühlen sich auch Europäer und Amerikaner wieder auf sicherem Terrain in ihrer Kunstrezeption.

Sun Yuan und Peng YuPeng Yu sind nach ihrer Kampfhunde-Performance ebenfalls mit kompatibleren Werken außerhalb Chinas in Erscheinung getreten. 2013 zeigten sie in der Ukraine etwa die Performance „ If Seeing Is Not An Option“ , bei der Männer mit Augenbinden blind Kalaschnikovs auseinander- und zusammenbauten. Ein anderes Werk zeigte einen gefallenen Engel.

Zumindest Peng Yu lieferte künstlerische Extreme, die verstören: Sie schuf im Jahr 1999 einen lebenden „Vorhang“ (das Werk hieß „Curtain“) aus Weichtieren, die sie am Großmarkt gekauft hatte. Die Frösche, Schnecken und Krabben wurden von Hilfskräften aufgespießt und tagelang zappeln gelassen. Die überlebenden Tiere wurden von Künstlern verzehrt, der Rest einfach weggeschmissen.

Viel einfacher können wir uns auf die Integrationsfigur Ai Weiwei einigen, der vom Regime unterdrückt wurde und sich globaler Unterdrückung widmet. Auf der Biennale in Sidney posierte er im Vorjahr vor einem grotesk vergrößerten und gestreckten Schlauchboot – dem traurigen Symbolbild für viele tote Geflüchtete.

Ein stoischer, dicklicher Sturkopf, der gegen die Diktatur aufbegehrt: Dieses Narrativ versteht man auch außerhalb der Highend-Galerien in den internationalen Metropolen. Dabei gäbe es noch mehr zu verstehen.

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