Song Contest: Poe-Poe-Poe-sitive Stimmung für Österreich, Schweden Favorit
Kennen Sie Marty Brem? Er belegte im Jahr 1981 mit „Wenn du da bist“ für Österreich in Dublin Platz 17 (von 20 Startern).
Diese Platzierung werden Teya & Salena hoffentlich nicht mit ihm gemein haben. Aber etwas anderes: So wie er wird das Duo am Samstagabend den 67. Eurovision Song Contest in Liverpool mit Startnummer 1 eröffnen. Seither wurde keinem ORF-Starter diese Ehre zuteil.
Niedrigen Startplätzen wird zwar der Nachteil zugeschrieben, dass sich vor der Entscheidung noch zahlreiche Eindrücke dazwischenschieben, aber Teya & Salenas Dancepop-Song setzt sich recht hartnäckig in den Gehörgängen fest. Der lautstarke Jubel in der M&S Arena im Semifinale lässt darauf schließen, dass „Who The Hell Is Edgar?“ beim Publikum gut ankommt. Und das offenbar nicht nur bei den Eurovision-Fans vor Ort. Der mediale Wind steht günstig, und bereits in ihrem Semifinale hatten die Buchmacher Teya & Salena auf Platz 1.
Wie leicht (und billig) ist es, über den Song Contest zu lästern: Komische Musik, überdrehte Show, und wer schaut überhaupt am Samstagabend noch fern?
Nur: Alles davon verfehlt völlig den Punkt. Andersrum wird ein Schuh daraus: Heute Abend sitzen Millionen Menschen, im Idealfall gemeinsam und mit Snacks, vor dem TV-Lagerfeuer – und der Anlass ist eine gemeinsame Party. Gefeiert wird der Traum einer Welt, in der die Menschen so bunt und peinlich und emotional sein können, wie sie wollen. Es wird gesungen und getanzt, man hört andere als die eigene Sprache und merkt, dass die jenseits der vielen Grenzen ihre Sachen auch nicht so ganz beieinanderhaben.
Wem fällt ein positiverer Grund ein, seinen Abend vor dem TV-Schirm zu verbringen, als dieser? Wer lieber noch einen Problemkrimi und noch einen Polittalk und noch einen deutschen Fernsehfilm schaut – viel Spaß! Wir anderen schauen heute Song Contest. Österreich, 12 Punkte.
Von Georg Leyrer
Die Wettquoten scheinen überhaupt ein guter Indikator zu sein. Im Semifinale lagen die Buchmacher lediglich bei Albanien (knapp) daneben. Ansonsten waren alle Qualifikanten richtig prognostiziert. Am Tag vor dem Finale sah es so aus, als ob Österreich heute mit Ländern wie Italien, Großbritannien, Belgien oder Kroatien um einen Platz in den Top 10 rittern könnte.
Klare Favoritin
Die große Frage wird sein, ob die klare Favoritin bei den Wettquoten, Schwedens Loreen, diesmal im Vorfeld überschätzt wurde. Ihr Song „Tattoo“ hat zwar Melodiephrasen, die ihrem Siegerlied von 2012, „Euphoria“, stark ähneln, aber der Refrain fällt doch deutlich schwächer aus.
Großbritannien erweist sich bisher als souveräner Ersatzgastgeber. Die Einbettung des Veranstalters der Herzen, Vorjahressieger Ukraine, gelingt auf sympathische Art. Das liegt auch an dem spritzig agierenden Moderatorinnen-Trio, in dessen Mitte die Ukrainerin Julia Sanina steht.
Anti-Putin
Musikalisch bewegt sich der Bewerb auf respektablem Level. Skurrile Beiträge sind kaum zu finden, Kroatien (siehe unten) stellt eher einen Ausreißer dar. Immerhin ist es Let 3 gelungen, das EBU-Verbot politischer Botschaften zu umgehen. Ihr „Macarena“-Verschnitt „Mama ŠČ!“ wird als Anti-Putin-Song gedeutet. Auch Tschechiens Beitrag (Vesna/„My Sister’s Crown“) setzt auf politisch zu verstehende Symbolik: „Die Krone meiner Schwester / Nehmt sie nicht ab / Niemand hat das Recht dazu.“
Kein Selenskij
Bei eindeutig politischen Botschaften zeigt sich der Ausrichter EBU (European Broadcasting Union) weiter strikt. Daher wird es keine Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten geben. Selenskij habe „lobenswerte Absichten“, aber sein Wunsch verstoße „bedauerlicherweise“ gegen die Regeln, hieß es. Kiew dementierte indes, dass sich das Präsidentenbüro mit einer derartigen Bitte an die EBU gewandt habe.
Bemerkenswerte Lieder des Finales
Österreich: Teya & Salena, „Who The Hell Is Edgar?“
Beim Österreich-Beitrag muss man aufpassen, wenn man ihn gedankenverloren vor sich hin singt: In Straßenbahn und Büro wird man doch eher komisch angeschaut, wenn man „Poe, Poe, Poe, Poe, Poe“ auf den Lippen führt. Sonst sind Teya & Salena schon jetzt ein Erfolgsbeitrag: Sie bekommen in Liverpool viel Liebe, die Wettquoten sind gut, der Halbfinal-Auftritt war tadellos. Im Finale ist für die beiden vieles möglich, das für Österreich sonst oft unerreichbar blieb.
Schweden: Loreen mit dem Song „Tattoo“
Bisher waren die Wettquoten heuer sehr verlässlich – wenn das so bleibt, ist sie die gesetzte (und geübte) Siegerin: Loreen aus Schweden hat schon 2012 den Bewerb für sich entscheiden können. Statt „Euphoria“ gibt es heuer „Tattoo“ – und wie das halt immer so ist, viele sagen, dass der neue Song nicht so ganz an den alten heranreicht, und da lauert vielleicht ein gewisses Problem. Sonst jedenfalls ist das Comeback einer Siegerin eine Story, die der Song Contest sicher gerne erzählt.
Ukraine: Tvorchi, „Heart of Steel“
Die Ukraine-Solidarität prägte den Song Contest 2022. Eine Wiederholung gilt heuer als unwahrscheinlich – ganz ausschließen aber sollte man es nicht: Wenn sehr viele Länder die Ukraine auf Platz 2 oder 3 voten – was irgendwie höflich wäre –, kann am Schluss durchaus der erste Platz herausschauen. Die Buchmacher setzen Tvorchi auf den dritten Platz. Der Song ist vielleicht ein wenig gar heutig, mit viel Elektronik und Rave-Bass, aber im Prinzip mehr als tauglich.
Finnland: Käärijä, „Cha Cha Cha“
Discostampfen, ein bisschen Eigenartigkeit, ein eingängiger Refrain und eine Over-the-Top-Show: Käärijä erfüllt alles, was ein erfolgreicher ESC-Beitrag braucht. Und er gibt Gelegenheit, darüber zu sinnieren, wie wichtig die Performance ist: Da hatte der Finne nämlich gesangsmäßig einige Wackler. Dafür brüllt er ins Mikro wie Scooter und reitet ein Schlangenpferd aus Tänzerinnen und Tänzern. Ohren zu und durch: Finnland ist auf Platz 2 gesetzt, könnte aber auch gewinnen.
Italien: Marco Mengoni, „Due Vite“
Jedes Jahr gibt es auch jene Songs, die das Ganze ernst meinen. Auffällig hier – nicht nur, weil er aus Italien und damit aus einer langen Song-Contest-Tradition kommt: Marco Mengoni mit seiner geradlinigen Ballade „Due Vite“. Da steht jemand (okay, zumindest im Glitzertop) und singt einen gefühlvollen Song – mehr ist nicht, und das ist auch gut so. Den Song hätte man schon in den 1980ern im Italienurlaub hören können – was eher für ihn spricht als gegen ihn.
Kroatien: Let 3 mit dem Song „Mama ŠČ!“
Ein Generalsverschnitt mit Schnauzer und goldenem Lidschatten in Rosa. Ein Song, der zuerst immer aus dem Gleichen und dann aus allem anderen, das je beim Song Contest zu hören war, besteht. Soldaten, die später in Unterhosen vor riesigen Raketensprühkerzen in ihre Instrumente hämmern:
Ja, der kroatische Beitrag ist extraschräg, offenbar gegen Putin gerichtet – und steht in einer langen Tradition an Kasperliaden, die auch immer wieder erfolgreich waren.
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