Kurz bei "Im Zentrum": Kein Comeback, aber ein böser Trump-Vergleich

Kurz bei "Im Zentrum": Kein Comeback, aber ein böser Trump-Vergleich
Die Einladung des Ex-Kanzlers bei der ORF-Talksendung sorgte für Aufregung. Diese wurde lange Zeit nicht gerechtfertigt - bis zur letzten Frage der Live-Diskussion.

* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*

Es war ein gewichtiges geopolitisches Thema am Sonntagabend bei der ORF-Talksendung „im Zentrum“. „Europa am seidenen Faden – Wie groß ist Chinas Macht?" Das Thema riecht nach Expertendiskussion.

Die Namen Martin Selmayr (Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich), Mikko Huotari (Direktor des Mercator-Institut für China-Studien, Berlin), Velina Tchakarova (Politikwissenschafterin, Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik) und Joëlle Stolz (Journalistin und Autorin, ehemalige Korrespondentin Le Monde) waren hier eher unverdächtig. Ging es doch auch um die jüngsten Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der nach bei seinem Besuch in Peking auf eine eigenständige, von den USA unabhängige Position Europas in der Taiwan-Frage gepocht hatte.

Ein Name auf der Einladungsliste sorgte allerdings für hohe Wellen im Netz und für ungewöhnlich viele Tweets unter dem Hashtag #ImZentrum: Sebastian Kurz.

Reizfigur

Seit Oktober 2021 ist er Ex-Bundeskanzler, aber eineinhalb Jahre nach dem Abgang aus der Politik und dem Gang in die Privatwirtschaft dient Kurz unvermindert als Reizfigur. Die Einladung erschien vielen als unangebracht oder verfrüht.

Nun ist auch Ex-SPÖ-Chef Christian Kern (seit Dezember 2017 Ex-Kanzler) mittlerweile wieder gern gesehener Gast in ORF-Talkrunden, aber Kerns Cooling-Off-Phase schien dann doch etwas länger gewesen zu sein. Im April 2022 war er zum Beispiel bei „Im Zentrum“ geladen, zum Thema „Rubel, Gas und Krieg“.

Daher schien Moderatorin Claudia Reiterer die Einladung des Ex-ÖVP-Chefs dann doch genauer erklären zu wollen: „Sebastian Kurz, Sie waren zehn Jahre in der Regierung, vier Jahre Außenminister, vier Jahre Bundeskanzler, sie haben 2019 die China-Strategie im europäischen Rat (…) mit beschlossen, im selben Jahr den chinesischen Staatspräsidenten getroffen und einige Male den französischen Staatspräsidenten Macron.“

Macron verteidigt

„Ist Macron von allen guten Geistern verlassen?“, fragte Reiterer, wenn dieser unmittelbar nach seinem China-Besuch erklärt habe, dass die EU kein Vasall der USA sein solle.

Kurz verteidigte Macron in diesem Fall. Er hielt grundsätzlich fest, dass es „in der Masse der Fragen ähnliche Zugänge“ mit den USA geben werde, auch durch die sicherheitspolitische Verwobenheit durch die NATO, aber auch „Bereiche mit unterschiedlichen Interessen“. Was China betreffe, seien Macrons Aussagen zwar „provokant“, aber Kurz ist der Meinung, dass es gut ist, wenn es jemanden gibt, der versucht, zu deeskalieren und nicht Öl ins Feuer zu gießen. Weil ich glaube, wir sind mit dem Konflikt mit Russland schon so beschäftigt, dass wir nicht unbedingt einen weiteren Konflikt oder eine Eskalationsspirale mit einer anderen Supermacht suchen sollten.“

Kurz bei "Im Zentrum": Kein Comeback, aber ein böser Trump-Vergleich

"Erhobener Zeigefinger"

Die China-kritischen Aussagen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei ihrem China-Besuch kritisierte Kurz allerdings in diesem Zusammenhang. Das bringe zwar „medial mehr Applaus als die Aussagen von Macron“, er sehe es aber als „gefährlichen Trend“, zu sehr „mit dem erhobenen Zeigefinger in der Welt unterwegs“ zu sein. Wenn man glaube, andere erziehen zu müssen, „dann stärkt das unser Verhältnis nicht.“ Man sollte zuerst Vertrauen aufbauen und dann versuchen, einzuwirken, sagte Kurz.

Mikko Huotari konnte den „erhobenen Zeigefinger“ bei Baerbock nicht entdecken. „Klare Worte sind angemessen“, das entspreche auch der Erwartung Pekings. EU-Kommissionsvertreter Selmayr wiederum meinte, „erhobener Zeigefinger“ seien die Worte des chinesischen Außenministers gewesen, „das würde ich mir nicht zu eigen machen.“ Baerbocks kritische Worte zur Menschrechtssituation und zu Taiwan seien im Einklang mit dem EU-Konsens gestanden.

Das Thema wirtschaftliche Abhängigkeit war der zweite große Themenblock. Eine größere Unabhängigkeit Europas von Staaten wie Russland und China hieß Kurz grundsätzlich gut, er wies aber darauf hin, dass sich manche Rohstoffe wie seltene Erden eben zum Großteil in China befinden.

Selmayr wandte ein, dass es beispielsweise auch in Südamerika Lithium-Vorkommen gebe, die EU sei derzeit auf der Suche nach anderen Partnern, um das Risiko durch Abhängigkeiten zu streuen.

OMV und Russland

Den noch 2018 abgeschlossenen langfristigen Gasliefervertrag der OMV mit der russischen Gazprom verteidigte Kurz. Das günstige Gas habe lange Zeit wirtschaftlichen Wohlstand gebracht. Man müsse auch bedenken, dass es um Arbeitsplätze ging. „Im Rückblick ist man immer schlauer“, sagte Kurz.

Die französische Journalistin Joëlle Stolz kritisierte, dass man es sich in der Gas-Frage vonseiten Österreichs zu leicht gemacht habe, und das Feld hier der OMV überlassen habe. Diese habe dann „ihre eigenen Interessen“ verfolgt.

Velina Tchakarova hielt die allgemeine Rede von einem Dritten Weltkrieg für „sehr gefährlich“, das zeichne sich nicht ab. Man habe es mit einem „klassischen Kalten Krieg 2.0 zwischen zwei systemischen Rivalen“ zu tun. Hierbei werde es zwischen USA und China zu einer „endgültigen Klärung“ kommen.

„Endgültige Klärung“ klingt jetzt aber auch nicht wahnsinnig ermutigend.

Tchakarovas Hauptthese: „Wir müssen uns damit auseinandersetzen und uns dafür wappnen.“

Wirtschaftlich könne man sich mit den USA und China noch messen, aber sicherheits- und verteidigungspolitisch sei Europa ein Zwerg. Sie verwies auf die ambitionierten Pläne Deutschlands im Sinne der „Zeitenwende“: „Kein einziger Cent von den 100 Milliarden wurde eigentlich bis jetzt ausbezahlt.“

Selmayr: „Jetzt schon ein paar …“

Ein paar Cent. Na allerweil …

Ukraine-Politik

Wir waren also schon mitten im Thema Angriffskrieg Russland gegen die Ukraine. Tchakarova warf der EU vor, keine einheitliche Meinung zu vertreten. Hier hielt Selmayr fest, dass alle 27 Staaten beschlossen haben, dass die „Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine“, offenbar inklusive Krim das Ziel sei. Es gebe hier klarweise „Nuancen“ – „weil wir Demokratien sind“ - und letztlich müsse die Ukraine über ihre Position selbst entscheiden.

Kurz warf hier etwas flapsig ein: „Wie realistisch das ist, ist eine andere Frage“. Er gab Selmayr dann aber Recht, dass in der EU in dieser Frage eine „überraschend starke Einigkeit vorhanden“ sei.

Unterm Strich konnte sich Kurz, der ja derzeit vor allem im Nahen Osten Kontakte knüpft, nicht als großer China- oder Fernost-Kenner darstellen, seine Aussagen blieben eher an der Oberfläche. Der frühere Kanzler schien aber an der Rolle des Kommentators Gefallen gefunden zu haben, und flocht freilich auch seine politischen Überzeugungen hier und da ein. Dem Reflex, so wie früher bei jeder Gelegenheit die Balkanroute ins Spiel zu bringen, fiel er hier nicht anheim.

Trump-Vergleich

Am Ende kam dennoch die Frage nach einem politischen Comeback – als aktueller Anknüpfungspunkt wurden von Reiterer die Hausdurchsuchungen bei der Gratiszeitung Heute genannt. Die Moderatorin zitierte auch Ex-Kanzler Christian Kern, für den sei nun "endgültig erwiesen, dass Ihr Wahlsieg von 2017 mit Inseraten für den Boulevard gekauft wurde".

Kurz schmunzelte und sagte dann auch: "Ich muss ein bisschen schmunzeln". Kern tue sich sechs Jahre nach der Wahlniederlage "anscheinend noch immer ein bisschen schwer, damit umzugehen". Dann wählte Kurz einen bemerkenswerten Vergleich:  "Den Trend, dass man bei Wahlen, die man verliert, danach sagt, sie seien gestohlen worden, den hat, glaube ich, Donald Trump in den USA erfunden. Der dürfte sich nun auch in anderen Ländern fortsetzen."

Hierbei muss man einfügen, dass die Trumpschen Vorwürfe gegen Biden (die auf keinem wahrnehmbaren Tatsachensubstrat gründeten) sich auf eine behauptete Wahlfälschung bezogen und nicht auf eine mutmaßliche Manipulation von Umfragen.

Kein Comeback

Ansonsten sagte Kurz noch: "Zehn Jahre in der Bundesregierung - ich glaube ich habe meinen Beitrag geleistet." Er sei sehr glücklich "bei dem, was ich jetzt tue".

Angesprochen auf eine mögliche Anklage gegen ihn im Zusammenhang mit Falschaussage im Untersuchungsausschuss gab er sich – wie meistens bei dieser Frage - gelassen: "Ich bin froh, wenn es endlich so wäre". Eine Gerichtsentscheidung werde gegebenenfalls für ihn ausgehen und dann werde klar sein, "dass diese Vorwürfe falsch waren".

Viel Neues war also auch in dieser Hinsicht von Kurz nicht zu hören. Aber dieser hielt sich im – lautstarken – Gespräch.

TIPP: Die Diskussion zum Nachschauen

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