ORF/Netflix-Serie "Freud" wird "für Kontroversen sorgen"
Nicht als Psychoanalytiker seiner Patienten auf der Couch, sondern rastlos auf Mörderjagd im Wien des späten 19. Jahrhunderts: So präsentiert sich Sigmund Freud in der neuen Serie – der ersten gemeinsamen von ORF und Netflix. Die wurde am Montagabend bei der Berlinale präsentiert. Aus 600 Einreichungen war die Produktion des österreichischen Filmemachers Marvin Kren für die Eröffnung der Reihe „Series 2020“ ausgewählt worden.
Marvin Kren und seine Co-Autoren Stefan Brunner und Benjamin Hessler zeigen Freud als einen Mann auf der Suche nach Anerkennung – zwischen zwei Frauen, zwischen Vernunft und Trieben. Anregungen für den Psychotrip, auf den „Freud“ das Publikum entführt, boten unter anderem die Vorurteile, die der Meister des Unbewussten schon zu Lebzeiten hervorrief. Schmutzfink, Sex-Maniac, Scharlatan – um nur einige der Vorwürfe zu nennen.
An seine Braut Martha Bernays schrieb der 29-jährige, damals noch völlig unbekannte Arzt: „Die Biografen sollen sich plagen ...“. Freud hat einst alle Unterlagen, Briefe und andere schriftliche Zeugnisse vernichtet, die Aufschluss über seine Kindheit und Jugend hätten geben können. Während also die Biografen im Dunklen tappen, wenn es um die Lehrjahre des legendären Psychoanalytikers geht, haben Marvin Kren und sein Drehbuchautor Benjamin Hessler Grund zur Freude.
Denn gerade weil es keine Akten und Fakten gibt aus seinen jungen Jahren gibt, konnten die Beiden den Wiener Psychoanalytiker in ihrer achtteiligen Serie ungeniert zum abgründigen Helden stilisieren und dabei seiner Fantasie freien Lauf lassen. Das ausschweifende Jahrhundertwende-Wien, geprägt von der Dekadenz einer damals illustren Gesellschaft, bildet in den „Freud“-Folgen die opulente Kulisse für mysteriöse Mordfälle und politische Intrigen.
Dem Erfinder der Psychoanalyse steht bei seiner Mörderjagd Fleur Salomé, ein berühmt-berüchtigtes Medium zur Seite, gespielt von Ella Rumpf. Georg Friedrich beeindruckt als Kriegsveteran Alfred Kiss. Die „Freud“-Serie ist die erste Zusammenarbeit von Netflix und dem ORF.
KURIER: Zum ersten Mal hat Netflix mit dem ORF zusammengearbeitet. Gab es da Begehrlichkeiten – wie etwa, dass die eine Seite die Internationalität von Sigmund Freud betonen wollte und die andere das Österreichische?
Marvin Kren: Aufgrund des Erfolgs von „4 Blocks“ habe ich von Netflix und auch vom ORF völlig freie Hand bekommen. Beide Seiten haben die Drehbücher gelesen und ein bisschen bei der Besetzung mitgeredet, aber dann habe ich so frei arbeiten können wie noch nie. Beim Schnitt gab es letztlich doch einige Diskussionen. Für die Netflix-Fassung gehen wir bei einigen Gewalt- und Sexszenen ziemlich an die Grenzen. Der ORF wollte als öffentlich-rechtlicher Sender einige Anpassungen für sein Publikum – was ich völlig verstanden habe. Daher läuft auf Netflix ein Director’s Cut und im ORF eine leicht geschnittene Fassung.
Freud hat alle Zeugnisse seines frühen Lebens vernichtet. Hat das die Arbeit am Drehbuch erschwert oder erleichtert?
Marvin Kren: Als mir die österreichische Produktionsfirma SATEL das ursprüngliche Serien-Konzept anbot, war der junge Sigmund Freud ein Profiler auf Mördersuche. Die Idee, dass man so frei mit einer berühmten Persönlichkeit umgehen kann, faszinierte mich sofort. Bei der näheren Auseinandersetzung mit dem Stoff wurde mir klar, dass es trotzdem wichtig war, möglichst nah an seiner Biografie zu bleiben. Also recherchierte ich gemeinsam mit dem Drehbuchautor, wie er zu dieser führenden Figur der Psychoanalyse werden konnte. Dabei sind wir draufgekommen, dass es tatsächlich kaum Zeugnisse aus Freuds Kindheit und Jugend gibt. Für uns ergaben sich daraus spannende Fragen: Warum hatte er alle Schriften aus dieser Zeit vernichtet? Wer war er damals? Gab es da dunkle Geheimnisse? Also haben wir einen Freud-Werdegang erfunden, der zu unserer Geschichte passt. Wir zeigen ihn als einen Mann, der sehr ehrgeizig ist. Als einen, der wissen will, was hinter der damals bei Frauen so häufig gestellten Diagnose „Hysterie“ wirklich steckt und wie er dabei beinahe selbst hysterisch wird (lacht).
Benjamin Hessler: Für mich war die Vernichtung seiner frühen Dokumente ein Zeichen, dass Freud selbst ein fiktionales Bild von sich entwerfen wollte. Er hat sein eigenes Image geschaffen - und das ist ihm ja auch so gut gelungen, wie kaum jemand anderem. Natürlich gab es immer wieder auch Freud-kritische Biografien, die aber nie große Bedeutung erlangt haben. Dafür, dass Freud ist eine so übermächtige Figur des 20. Jahrhunderts war, ist sein Image bis heute erstaunlich intakt geblieben. Meistens werden historische Figuren im Lauf der historischen Aufarbeitung gestürzt und umgewertet…
Der Regisseur
Der Österreicher Marvin Kren hat für „4 Blocks“ den Deutschen Fernsehpreis bekommen
8 Folgen
hat die erste Staffel. Hauptdarsteller ist Robert Finster, weiters im Cast: Brigitte Kren, Philipp Hochmair, Johannes Krisch
Sendetermine
ORF 1 startet am 15. März mit einer Doppelfolge. Die weiteren Ausstrahlungen sind dann als Triplefolge für den 18. sowie den 22. März angesetzt. Auf Netflix ist „Freud“ ab 23. März abrufbar
Sie gehen in Ihrem Film auch sehr auf den damaligen Zeitgeist ein – politisch wie auch gesellschaftlich. Was hat Sie daran fasziniert?
Marvin Kren: Freud war ein junger jüdischer Arzt – in einer Zeit, die nicht nur von bahnbrechenden wissenschaftlichen und künstlerischen Neuerungen geprägt war, sondern auch von Antisemitismus und Nationalismus. Freud bekam das alles auch in seinem privaten Umfeld zu spüren. Er war total verliebt in Martha Bernays, deren großbürgerliche Eltern ihn zunächst ablehnten, weil er kein Vermögen hatte und ihrer Tochter keine gesicherte Existenz bieten konnte. Freud musste sich erst in der Gesellschaft etablieren, was wiederum seinen Ehrgeiz anstachelte. Andererseits hat er sich für seine revolutionären Thesen weit aus dem Fenster gelehnt und um deren Anerkennung gekämpft. Dazu war er in dieser Zeit auch noch kokainabhängig. All das zusammengenommen macht einen ungeheuer spannenden Menschen.
Man kann aus Ihrer Serie auch politische Parallelen zur heutigen Zeit herauslesen. Wie etwa den Zerfall der Donaumonarchie: Das Scheitern dieses Vielvölkerstaats könnte auch als Metapher für einen möglichen Zerfall der Europäischen Union gesehen werden.
Benjamin Hessler: Natürlich haben wir beim Schreiben dieser Freud-Geschichte auch immer die Parallelen zur heutigen Zeit vor Augen gehabt. Wie etwa den stärker werdenden Rechtsruck und die zunehmende Fremdenfeindlichkeit. Die Angst, dass Feinde von außen kommen und unsere Gesellschaft zersetzen, oder dass sie schon da sind, und sie von innen zersetzen. Freud würde staunen, wie wenig sich die Menschen diesbezüglich verändert haben. Aber wahrscheinlich ahnte er das damals schon.
Marvin Kren: Auch die Begriffe „Gut“ und „Böse“ – im moralischen wie auch im strafrechtlichen Sinne – hat Sigmund Freud in ihren Grundfesten erschüttert. Schon allein deshalb, weil wir durch die Erkenntnisse der Psychoanalyse bei jedem Täter – auch bei einem Mörder – immer berücksichtigen, aus welchem Umfeld er kommt. Ob er vielleicht eine schlechte Kindheit hatte, oder ob er von der Gesellschaft, in der er lebt, ausgegrenzt wurde. Zu dem, was wir heute sind, haben uns – so Freud – die Umstände unserer Kindheit gemacht. Und genau auf diesem Gebiet, das Sie mit Ihrer Frage angesprochen haben, wird unsere Serie auch für Kontroversen sorgen.
Freud steht zwischen sehr starken Frauen. Folgen Sie damit dem heutigen Zeitgeist, wonach mehr gute Frauenrollen gefragt sind?
Marvin Kren: Starke Frauenrollen werden tatsächlich mehr und mehr gewünscht. Ich persönlich habe Männern und Frauen immer schon die gleiche Stärke zugeschrieben. Da habe ich keinen politischen, sondern einen privaten Ansatz (lacht). Ich bin von starken Frauen erzogen worden. Ich habe zwei Super-Großmütter gehabt, die ihre Ehemänner verlassen haben und auf eigenen Beinen gestanden sind. Meine Mutter hat mich allein erzogen – und sie spielt auch in der Freud-Serie eine starke Frau (lacht). Das Verständnis für starke Frauen ist Teil meiner DNA und eine Selbstverständlichkeit. Aber ich verstehe, dass man auch vonseiten der Politik Chancengleichheit für Frauen einfordert.
Kritik zu "Freud": Blutleckende Wien-Pulp-Fiction
Sigmund Freud und Arthur Schnitzler waren zeitlebens miteinander bekannt, dicke Freunde aber wurden sie nie. Sie hielten immer große Distanz zueinander.
Nicht so in Marvin Krens fleischiger ORF-Mysterie-Serie „Freud“: Hier nennt Schnitzler seinen Freud jovial Schlomo und nimmt ihn mit auf adelige Partys. Dort werden sinistre Séancen abgehalten, und ein attraktives Medium namens Fleur (Ella Rumpf) blickt unter konvulsivischen Zuckungen drastisch in die Zukunft.
Marvin Kren, spezialisiert auf Krimi- und Gruselkino, rührt für seine blutleckende Jahrhundertwende-Pulp-Fiction genussvoll die Zutaten vom Wien-Mythos zusammen. Das berühmte süße Mädel wird nicht nur vom K.u.k-Offizier verführt, sondern auch brutal geschlachtet. Die Heurigensänger stimmen im breiten, wienerischen Dialekt Mordballaden zur Ziehharmonika an, und in den Palais’ ungarischer Exilanten ertönen hintergründig die Walzertöne „Wiener Blut“.
Sigmund Freud selbst ist weniger damit beschäftigt, die Psychoanalyse zu erfinden, als in der Wiener Unterwelt auf Mördersuche zu gehen. Gleichzeitig versucht er vergeblich, seine umstrittenen Hypnose-Methoden in der arroganten Ärzteschaft durchzusetzen.
Es erweist sich als cleverer Move, die Entdeckung von Hysterie und Hypnose mit den (militärischen) Traumata und Polit-Intrigen des ausgehenden 19. Jahrhunderts kurzzuschließen und mit einem Bein im Kriminal zu erzählen. Damit eröffnet Marvin Kren ungewohnte und streckenweise recht kurzweilige Perspektiven.
Verrottet
Die herausragendste Figur in Krens verrotteter Wiener Gesellschaft ist zweifellos Georg Friedrich als Kriminalinspektor Alfred Kiss: Mit blank poliertem Schädel und Walrossschnurrbart im Gesicht, bohrt Friedrich seine markant näselnde Wien-Stimme in hohe militärische Kreise, wo die Schmisse im Gesicht so zahlreich sind wie die burschenschaftlich geleerten Bierkrüge.
Freud selbst – fesch gespielt von Robert Finster – sieht dem Original-Doktor erstaunlich ähnlich, bleibt aber sonst eher blutleer. Auch Philipp Hochmair als Adeliger mit schwarzgeschminkten Augenringen sieht eher kurios als gefährlich aus, während seine etwas nervende, ungarische Gefährtin ihrer Umgebung Selbstmordgedanken ins Ohr flüstert.
Kren hat ein Händchen für effektvolle Schockmomente, schaurige Musikeinsätze und mysteriös-verschwommene Bilder. Dazwischen nehmen sich manche Dialoge ein wenig hölzern aus. Aber das Wienerische sitzt – vor allem bei der Kieberei. Das deutsche Publikum kann sich hoffentlich vorstellen, was ein „Schaß mit Quasteln“ sein soll.
Text: Alexandra Seibel
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