ORF oder Servus-TV? Selektive Medien-Wahl verstärkt Corona-Haltung
Die Coronapandemie und dazu getroffene Maßnahmen haben Bevölkerung und Medien polarisiert. So wurde etwa ServusTV und seinem Wochenkommentar "Der Wegscheider" vorgeworfen, verharmlosend zu berichten. Günther Mayrs Analysen im ORF wurde mitunter Alarmismus angelastet. Wie eine neue, im Fachjournal "Communication Research" veröffentlichte Studie zeigt, lösen die Aussagen der beiden bei selektiver Zuwendung der Seher einen verstärkenden Effekt auf die eigene Corona-Haltung aus.
Die Coronapandemie kann aus vielen verschiedenen Blickwinkeln von Medien aufgegriffen werden. Journalistinnen und Journalisten entscheiden, welche Aspekte sie berichten und welche sie speziell hervorheben. Das kann zu einer spezifischen, eventuell eingeschränkten Perspektive auf das Thema führen. Bezeichnet wird das als "News-Framing-Effekt". Der präsentierte "Rahmen" kann wiederum einen Effekt auf die Einstellungen und das Verhalten der Rezipienten ausüben.
Ein "Allmachts-Modell" von Medienwirkungen ist jedoch zu simplifizierend, die Realität ist komplexer, meint Florian Arendt vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien gegenüber der APA. Er hat gemeinsam mit den beiden PhD-Studentinnen Michaela Forrai und Manina Mestas untersucht, unter welchen Umständen die Aussagen von ServusTV-Intendant Ferdinand Wegscheider und ORF-TV-Wissenschaftschef Günther Mayr einen Effekt auf die Einstellung von Zuseherinnen und Zusehern zur Gefährlichkeit der Pandemie, den getroffenen Regierungsmaßnahmen und den eigenen Verhaltensweisen (z.B. Maske tragen, Impfen) hat.
Dabei analysierten sie zunächst die Auftritte von Mayr und Wegscheider über die Dauer von fünf Wochen im Herbst 2020 - und stellten wenig überraschend markante Unterschiede in der Rahmung des Themas fest. Wegscheider stufte den Schweregrad der Pandemie bzw. Covid-19 weniger stark als Mayr ein. Auch war er negativer gegenüber den getroffenen Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eingestellt. Anschließend testeten die Kommunikationswissenschafter, ob es einen Zusammenhang zwischen der Nutzungshäufigkeit von Wegscheider (Servus TV) und Mayr (ORF) und den Einstellungen und Verhaltensweisen in Bezug auf die Coronapandemie der Rezipienten gibt.
Dafür befragten sie knapp 1.200 Personen zu ihrem Nachrichtenkonsum, wie ernst sie die Gefahr durch Covid-19 auf die Gesundheit einstufen, wie gerechtfertigt sie die Regierungsmaßnahmen empfinden und ob sie diese in ihrem eigenen Verhalten befolgen. Wie sich zeigte, existierte ein signifikanter Zusammenhang zwischen den üblicherweise betrachteten Corona-Kommentaren und der Einstellung der Seherinnen und Seher. Wer auf ServusTV regelmäßig "Der Wegscheider" schaute, war weniger in Hinblick auf Covid-19 alarmiert, stand den Regierungsmaßnahmen skeptischer gegenüber und hielt sich auch selbst weniger daran. Für die Kommentare von Mayr im ORF galt dasselbe - nur in die andere Richtung. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen einer Reihe anderer bereits veröffentlichter Studienergebnisse.
"Das große Problem solcher Studien ist die Interpretation von Kausalität: Wirkt die ServusTV-Nutzung auf die Corona-Einstellungen, oder wenden sich diejenigen mit negativeren Corona-Einstellungen eher ServusTV zu, oder ist die ganze Sache komplizierter?", erklärte Arendt. Das ist die zentrale Fragestellung der neuen Studie, in der die Autoren versuchten, den zugrundliegenden Mechanismus aufzuspüren. Dafür legten sie rund 800 Studienteilnehmern etwa vierminütige Videos vor, die entweder einen typischen Corona-Kommentar von Wegscheider oder einen von Mayr zeigten. Die Hälfte der Studienteilnehmer durfte nicht selbst wählen, wem sie lieber lauschen - sie bekamen einen Kommentar zufällig ausgewählt. Die andere Hälfte konnte frei wählen.
Dabei zeigte sich, dass Personen mit Wahlfreiheit sich eher den Inhalten zuwendeten, die eher konform mit ihrer bereits bestehenden Einstellung sind. Dieses Phänomen wird in der Forschung als "(einstellungs-basierte) selektive Zuwendung" oder "Confirmation Bias" bezeichnet. Bei diesen Testteilnehmern zeigte die Rezeption der Inhalte von ServusTV bzw. vom ORF einen Effekt: Die Ansicht des jeweiligen Kommentars verstärkte deren Einstellungen zur Schwere von Covid-19 und den Regierungsmaßnahmen, aber auch zu der Verhaltensabsicht, sich zukünftig an Regierungsmaßnahmen zu halten ("Verstärker-Effekt"). Für Arendt erklärt das komplexere Modell einer Kombination der beiden Phänomene, also das der selektiven Zuwendung und das des Verstärker-Effekts, die Medienwirkung im Zusammenhang mit der Pandemie.
Bei jenen Studienteilnehmern, die nicht selbst wählen durften, sondern zufällig zu einem Kommentar zugeteilt wurden, war das nicht der Fall. Bei ihnen zeigte sich kein Effekt in Richtung des "News-Framing" der spezifischen medialen Botschaft. Im Falle des Videos "Der Wegscheider" lag sogar Gegenteiliges vor: Rezipienten zeigten nach der Betrachtung teilweise eine weniger konsistente Einstellung zum Berichteten.
"Die Ergebnisse unterstreichen, dass Medienwirkung ein komplexes Phänomen ist", so Arendt, "weder ein simples Allmachts-Modell - also die Vorstellung, dass alle Rezipierenden gleichermaßen stark in die Richtung der medialen Botschaft beeinflusst werden - noch ein Modell der absoluten Wirkungslosigkeit ist zutreffend. Das können wir sicherlich verallgemeinernd so sagen."
Im Zusammenhang mit der Coronapandemie würde ein "Präferenzen-basiertes Verstärker-Modell", welches selektive Zuwendung und (Verstärker-)Effekte berücksichtigt, erklärungsstark sein. In der Forschung werde dies auch häufig als "reinforcing spiral"-Modell bezeichnet, weil sich "über einen längeren Zeitraum selektive Zuwendung und Verstärker-Effekte gegenseitig aufschaukeln können. Somit könnte die Nutzung von ServusTV- oder ORF-Inhalten zur Polarisierung in der Gesellschaft in diesem spezifischen Pandemie-Kontext beigetragen haben."
(S E R V I C E - Studie in "Communication Research": https://doi.org/10.1177/00936502221102104)
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