Ö1 ist immer noch nicht Ö3
„Manchmal ist Aufstehen schon ein Erfolg.“ Motivierende Worte am Montagmorgen. Das ist offenbar eine der Aufgaben der neuen Tagesmoderation auf Ö1. Oh Schreck, Aufwach-Ansporn, das kennt man vom „Wecker“ in Ö3. Verkommt nun der Kultursender zu einem Plapperbrei mit Musik- und Werbeunterbrechung?
Fremdworte
Eine der großen Sorgen, die ein Relaunch von Ö1 eigentlich immer mit sich bringt, kann auch diesmal erleichtert ausgeräumt werden. Schon allein deswegen, weil auf Ö3, dem Hirnlahmlegungs-Radio, selten Beiträge mit Fremdworten wie „Anthropozän“ angekündigt werden. Alexandra Augustin, die sowohl auf FM4 als auch auf Ö1 tätig ist, mag als Signal für eine Verbreiterung der Alterszielgruppe an Tag eins ins Rennen geschickt worden sein. Das setzte sie aber als erste „Tagesbegleiterin“ am Montag nicht plakativ um.
Betreuungsradio
Sie zitierte sogar eine richtig alte Frau zum Thema Veränderung am „Relaunch-Tag“. Da kam ein Spruch von Queen Elizabeth II. zum Zug: „Wir sollten nicht vergessen, dass oft die kleinen Schritte größere Veränderungen bringen als die großen Sprünge.“ Das leitete über zum Radiokolleg, das sich den menschengemachten Veränderungen des Planeten im – genau – „Anthropozän“ widmete. Kurzes geistreiches Geplauder der Moderatorinnen Augustin und Sarah Kriesche inklusive.
Die beiden gehören so wie Monika Kalcsics oder Peter Waldenberger zum Pool der Stimmen, die ab nun von neun bis 18 Uhr (werktags) die Hörer und Hörerinnen ein bisschen mehr an die Hand nehmen. Ein gewagtes Unternehmen, denn der Ö1-Konsument zeichnet sich nicht durch besondere Unselbstständigkeit aus. Aber ist es auch ein unnötiges Unterfangen? Zumal viele die Ö1-Sendungen heutzutage vor allem im Internet nachhören, wenn sie Zeit dafür haben. Denn die Inhalte – und das ist gut so – sind mitunter gar nicht so sehr geeignet für Nebenbei-Berieselung.
Wenn das Ziel des Relaunches ist, diese Art der Nutzung zu verändern, dann gelingt das zumindest damit, dass der Link zum Nachhören nun nicht mehr auf einen Blick auf der Ö1-Homepage zu finden ist. Sondern erst über einen Umweg auf die ORF-Sound-Seite. Da wartet eh ein klitzekleines Kalendersymbol auf den Klick.
Peter Alexander!
Jedenfalls ist die neue „Tagesbegleitung“ nicht störend. Der wissensbeflissene Ö1-Fan kann sich durchaus erfreuen an kleinen Bröcklein Allgemeinwissen, mit denen Augustin etwa auf die windige Wochenstartsituation Bezug nahm (der 5. Februar ist Tag der Wettermänner). Danach gab es noch passend zur darauffolgenden neuen Sendung „Ausgewählt“ taktvolle Trivia zum Thema Walzer.
In der wiederum mag Klassikpuristen die mitgelesene Partitur aus der Hand geplumpst sein, als plötzlich Peter Alexander „Das muss ein Stück vom Himmel sein“ aus dem Dreivierteltakt-Film „Der Kongress tanzt“ trällerte. So viel musikalisch-ironische Horizonterweiterung ist einem Kultursender-Hörer schon zuzumuten. Der oder die hat bereits Schlimmeres erlebt als diesen Relaunch. Man erinnere sich nur, als die Eingangsmusik von „Menschenbilder“ von der Schumann-Melodie zur atonalen Nicht-Melodie wurde. Manche haben sich nie davon erholt.
Mehr Ordnung
Weitere Neuerungen sollen mehr Ordnung ins Programm bringen. Eine Sendeleiste ab 16.15 Uhr ist je nach Werktag einem anderen Themenbereich gewidmet: Wissenschaft, Literatur, Religion und Ethik, Gesundheit sowie Talk.
An Montagen soll in der „Science Arena“ Platz für aktuelle philosophisch-wissenschaftliche Diskurse sein. Der Dienstag ist für Literatur in Form der „Tonspuren“ reserviert. „Im Fokus“, das sich mit Themen aus den Bereichen Religion und Ethik befasst, steht am Mittwoch am Programm. Gesundheitsinformation bietet mit „Am Puls“ der Donnerstag. Die Sendung soll in direktem Kontakt mit dem Publikum auch Anlaufstelle für Gesundheitsfragen sein. Der Freitag wartet mit dem Erstausstrahlungstermin von „Im Gespräch“ auf. Vorangestellt ist der Themenleiste um 15.55 Uhr „Betrifft: Geschichte“.
Das Medienmagazin „#doublecheck“ künftig am ersten Donnerstag im Monat nach dem „Ö1 Abendjournal“ zu hören. Am letzten Donnerstag im Monat nimmt das Wirtschaftsmagazin „Saldo“ diesen Sendeplatz ein. „Klartext“ soll als flexibles Talkformat in dieser Leiste öfters vorkommen.
Zeitgenössische Kunst
Musikalisch geht es wieder spätabends zu: Als neue Reihe ist künftig „Sound Art“ um 23.03 Uhr platziert. Hier steht zeitgenössische Kunst im Mittelpunkt, wobei montags, dienstags und freitags auf Musik, mittwochs auf Lyrik und donnerstags auf Audiokunst fokussiert wird. Noch später bietet die „Ö1 Nachtmusik“ montags bis samstags von 1.03 Uhr bis 6 Uhr exklusive Ö1-Konzertmitschnitte und Klassik-Mitschnitte anderer Rundfunkstationen der European Broadcasting Union (EBU).
Einmal monatlich (Sonntag 14.05 Uhr) gibt es „Menschenbilder mittendrin“, wobei Mari Lang Menschen porträtiert, die mitten in ihrem Leben stehen oder am Anfang ihrer Karriere. Die neue Serie soll eine Brücke zu den „Menschenbildern“ schlagen, die Geschichten der älteren Generation dokumentieren.
Ein beliebtes Opfer hatte die Reform freilich: Rudi, der Radiohund musste sich für immer verabschieden.
Befürchtete "Zerstörung"
Vergangenen Freitag hatten sich ehemalige Ö1-Chefs wie Alfred Treiber und Kulturschaffende mit einer Protestnote zu Wort gemeldet. Sie äußerten Sorge, dass der Sender „zerstört“ werde und wendeten sich gegen den Umbau der internen Organisation von bisher medien- und senderspezifischen Ressorts und Fachabteilungen wie Religion, Wissenschaft, Kultur zu multimedial organisierten Ressorts, die alle ORF-Medien bespielen, also TV, Radio, Online und Social Media. Diese sehen sie als Bedrohung für die Identität und Eigenständigkeit des erfolgreichsten Kultursenders Europas".
Damit wurde wohl Bezug darauf genommen, dass zuletzt auch Nachrichtenbeiträge, die in Ö3 ihren Ursprung hatten, in Ö1-Journale Eingang fanden.
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