Amazon-Film "Libre": Der Dieb, der ein Dichter war

Lucas Bravo („Emily in Paris“) spielt den Räuber und Poeten Sulak, der in den 70ern und 80ern Supermärkte und Juweliere aufsuchte
Seine Biografie liest sich bereits fast wie ein Filmdrehbuch. Der Fremdenlegionär Bruno Sulak (geboren 1955 in Algerien) entschied sich Ende der 1970er-Jahre dazu, in Frankreich Supermärkte auszurauben. Bemerkenswert war, dass er und seine Komplizen dabei keinen einzigen Schuss abgaben.
1980 gelang ihm sogar ein Gefängnisausbruch (zersägte Gitterstäbe!) und als ob das nicht genug wäre, kehrte Sulak zum selben Knast zurück, um einen Ex-Mithäftling zu befreien. Weil er in den Medien auch wegen seiner guten Manieren Bekanntheit erlangte, wurde Sulak mit der Romanfigur Arsène Lupin verglichen. Zu Letzterem gibt es längst eine erfolgreiche Netflix–Serie („Lupin“), während Sulak filmisch bisher nicht gewürdigt worden ist.
„In den 80ern war er sehr berühmt, und dann wurde er völlig vergessen“, sagt Regisseurin Mélanie Laurent. „Viele gewalttätige und unehrliche Männer wurden in Frankreich zu Ikonen gemacht. Aber wir vergaßen Bruno, weil er vielmehr ein Anarchist und ein Dichter war und nie Gewalt angewendet hat.“

Mélanie Laurent bei der Premiere des Films beim Filmfestival in Rom
Nicht Teil des Systems
Es sei die Zeit der immer größer werdenden Supermärkte gewesen – und damit „der Anfang von wirklich großen Raubüberfällen“, sagt Laurent. „Sulak war die ganze Zeit im Fernsehen. Er war buchstäblich anders als alle anderen. Aber ich denke, weil er nicht Teil dieses Systems war, hat ihn das System schließlich vergessen.“
Es war ein Buch des Autors Philippe Jaenada über Sulak, das Laurent vor rund zehn Jahren auf diese Geschichte brachte. Es sei eine „sehr präzise Biografie von der Geburt bis zum Tod. Ich wollte nicht bloß das Buch adaptieren, ich wollte die Freiheit haben, diese wahre Geschichte in Form von Fiktion zu erzählen.“
Beim Schreiben des Drehbuchs (Laurent verfasst sie stets selbst) „musste ich einfach einen Schritt zurücktreten“, sagt sie. „Aber es gibt so viele Reportagen im Internet, ich habe einfach ausgewählt, als wäre ich im Supermarkt, und habe um die verrücktesten Storys herum noch Sachen erfunden. Aber es basiert auf wahren Geschichten.“
Auch die Liebesgeschichte, die sie in dem Film „Libre“ (abrufbar auf Prime Video) inszeniert, beruht auf Tatsachen. Zusammen mit seiner Geliebten (im Film Annie genannt), die oft im Fluchtauto sitzt, liefert sich Sulak ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Sulak wird von Lucas Bravo (bekannt aus „Emily in Paris“) gespielt, Annie von Léa Luce Busato.
Die Lovestory sei für sie der Grund gewesen, den Film zu machen, meint Laurent. „Das Erste, was ich daran geliebt habe, war, dass seine Partnerin nicht passiv war.“ Diese „verrückte, leidenschaftliche Liebesgeschichte“ habe für sie alles verändert. „Es sagte auch etwas über ihn aus. Und dann wurde mir klar, dass man in all den Heist Movies mit ihren Mafia-Typen keine schöne weibliche Figur findet“, sagt sie. „Es ist nicht so, dass die Regisseure keine kreieren wollten. Es ist aber so, dass sie entweder Prostituierte sind oder zu Hause bleiben, und die Typen sprechen sie nicht mit Respekt an.“
Schauspielerin
Die Schauspielerin, geboren 1983, wuchs in einer Künstlerfamilie auf. Gérard Depardieu entdeckte die junge Französin am Set von „Asterix und Obelix gegen Cäsar“ (1999) und empfahl sie für ihre erste Nebenrolle. Durchbruch 2006 mit „Keine Sorge, mir geht’s gut“ (Philippe Lioret), es folgten Romy-Schneider-Preis und César. Einem weltweiten Publikum wurde sie 2009 durch die Rolle der Shoshanna, der Gegenspielerin von Christoph Waltz, in Tarantinos „Inglourious Basterds“ bekannt
Regisseurin
Erster Kurzfilm 2008, Klimawandel-Doku „Tomorrow“ (2015), der Thriller „Galveston“ (2018) und der Gaunerfilm „Diebinnen“ (2023)
Als einen ihrer Lieblingsfilme nennt Laurent „Gefährliche Brandung“ von Kathryn Bigelow. „Sie ist eine der besten Regisseurinnen aller Zeiten“, sagt Laurent, „und als Frau behandelt sie die Liebesgeschichte auf die richtige Art und Weise, auch wenn es sich um einen Männerfilm handelt.“ Im Gegensatz zu „Gefährliche Brandung“ habe sie allerdings eine Frau zeichnen wollen, die bei den verschiedenen Aktionen dabei ist, es sollte daher auch ein wenig „Bonnie & Clyde“ in der Mischung enthalten sein.
Auch die Poesie sollte nicht zu kurz kommen. „Ich habe gar nicht so viel hinzugefügt“, sagt Laurent. „Er war ja tatsächlich ein Dichter, dessen Texte veröffentlicht wurden, als er in Haft war. Seine Texte sind wunderschön, er hätte ein großartiger Autor und Künstler sein können.“
1985 kam Sulak mit nur 29 Jahren in Haft zu Tode – unter nie restlos aufgeklärten Umständen. „Ich dachte bei der Arbeit an dem Film an ein Lied von Serge Reggiani, der ein Gedicht von Baudelaire rezitiert hat. Ich sagte mir, wenn ich Reggiani und Baudelaire in einem Genrefilm über Räuber unterbringen kann, dann kann ich glücklich sterben“, so die Regisseurin lachend.

Bruno Sulak (Lucas Bravo) und Annie (Léa Luce Busato)
Großes Glück
Derweil hat Laurent – die 2009 als jüdische Rächerin Shoshanna in „Inglourious Basterds“ weltweit bekannt wurde – aber noch viel vor.
Ob die Rolle in Quentin Tarantinos Kultfilm bei ihrer Regiekarriere geholfen habe?
Laurent: „Ich finde Produzenten und treffe die richtigen Personen. Ich kann aber problemlos die U-Bahn nehmen und mitten im Nirgendwo auf dem Land leben, wo sich niemand für meine Art zu leben interessiert. Ich sehe es als großes Glück, keine Probleme mit der schlechten Seite von Prominenz zu haben.“
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