Gery Seidl über neue Show: "Wegschmeißen hat etwas Reinigendes“
„Zweite Kassa!“ – Soll man diese Rufe im Supermarkt unter niederschwellige Zivilcourage einordnen oder unter unnötige Raunzerei? Braucht man sie oder nicht?
Fragen wie diese stellt Kabarettist Gery Seidl ab Montag (21.20 Uhr) in der neuen Puls4-Show „Brauch ma des?“ und bespricht sie mit prominenten Gästen, einer Art Entrümpelungskomitee.
Seidl erklärt das Konzept: „Einer bringt das Thema mit und die drei anderen entscheiden: Bleibt's in Österreich oder schmeißen wir es in eine Kiste fürs Taka-Tuka-Land oder wohin auch immer? Und das geht wirklich vom Kreisverkehr bis zum Nehammer.“
Halt. Über die Performance von Politikern wird auch entschieden? Seidl: „Ich würde ihn bringen. Also zumindest die Frage stellen. Wenn dann am Ende rauskommt: Nein, um Gottes Willen, Nehammer ist das Beste, was Österreich je passiert ist, dann soll es mir auch recht sein, das ist eigentlich gelebte Demokratie.“
Es geht aber auch um unverfängliche Dinge: Horoskope, Selfie-Sticks, Popcorn im Kino. Seidl: „Der Selfie-Stick ist jetzt nichts, was den Staatsvertrag umschreibt, aber es ist ein großes Thema, weil sonst gäbe es das Klumpert ja nicht. Ich brauche ihn zwingend nicht. Aber es soll welche geben, die sagen: Das ist großartig! Na dann lassen wir's im Land, aber wir haben einmal darüber geredet. Und jede Meinung zählt.“
Ernste Momente
„Es sind auch sehr viele ernste Momente dabei, wenn es ins Politische geht“, erzählt Seidl. „Zum Beispiel das Thema Schulnoten. Das kann man nicht so einfach mit Ja oder Nein beantworten.“
„Brauch ma des?“ sei ein Unterhaltungsformat, „das aber auch Unterhaltung mit Haltung zulassen kann“, meint er. „Den Hunger in der Welt könnten wir bekämpfen, das hat aber wenig Breitenwirkung, weil es nicht Thema ist. Aber wir können es hier zum Thema machen. Und das finde ich schön. Danach sind wir aber wieder zurück beim Blödeln.“
In der Auftaktfolge sind Kicker-Legende Toni Polster, Schauspieler Stefano Bernardin und Kabarettistin Lydia Prenner-Kasper am Werk. Die Gäste und Seidl haben je einen symbolhaften Gegenstand mitgebracht, der für ein Thema steht. Dieser wird über ein Förderband hereingefahren und von Seidl per Joystick – je nach Abstimmungsergebnis – in einen Pappkarton verfrachtet oder zurück ins Land befördert.
„Das Wegschmeißen per se hat etwas Reinigendes“, sagt Seidl, „weil die große Kunst im Leben ist, draufzukommen, was man nicht mehr braucht.“
Wir haben dem Kabarettist und Moderator selbst ein paar Begriffe zur schnellen Entscheidung vorgelegt.
Zecken?
Seidl: Der Wissenschafter würde sagen: "Wir brauchen sie." Ich sage, ich brauche den Zeck nicht, und schon gar nicht in der eigenen Haut.
So ähnlich wie bei Corona …
Das brauch ich auch nicht. Aber offensichtlich brauchen wir es. Und es macht ja auch was mit uns. Nehmen wir es an und lernen wir daraus.
Backerbsen?
Meine Kindheit wäre gelöscht ohne Backerbsensuppe.
Plastikflaschen?
Ich brauch' sie nicht. Wenngleich das Reinigen der Glasflasche angeblich mehr Dreck verursacht als das richtige Entsorgen der Plastikflasche. Es wäre schon wieder interessant, welchen Fußabdruck was hinterlässt. Aber da gibt es bei drei Leuten sicher vier Meinungen.
Herrenwitze?
Im geschlossenen Raum schon.
Benzin?
Werden wir brauchen, sonst wird sich nicht mehr viel bewegen. Wir können andenken, weniger davon zu brauchen in absehbarer Zukunft.
Radler?
Im Sinne von: das Biergemenge? Im meiner Welt braucht's dieses Zwitterwesen nicht.
Testosteron?
Hat man das nicht automatisch als Mann? Zuviel kann glaub ich zur Belastung werden. (lacht)
FFP2-Maske:
Reizthema. Ich brauche sie jetzt nicht mehr, aber das entscheiden andere. Ich wäre gerne so weit, dass das Individuum, das auch wahlberechtigt ist, für sich entscheidet, ob es eine Maske aufsetzt oder nicht.
Autofahrer, die nur auf der dritten Spur fahren?
Wenn er die Partie nicht aufhält, ist das in Ordnung. Den, der 110 auf der dritten Spur fährt, den brauch ich nicht.
Rettungsgasse?
Wenn die Rettungsgasse nicht zur vierten Spur wird, finde ich die Idee gut, aber ich habe leider noch keine gesehen, die funktioniert.
U-Ausschüsse?
Finde ich grundsätzlich gut. Wenn sich unsere Politik irgendwann einmal entscheidet, dass es tatsächlich um die Sache geht, dann haben Ausschüsse Sinn. Wenn es ein Aufmarschieren von Interessensvertretern ist und es nur so lang gehen muss, bis die nächste Wahl ansteht, weil er dann abgedreht wird, ist es eigentlich schade ums Geld.
Deutsche Comedy?
Ja. Und wenn es einem nicht gefällt, weiß man, was man nicht braucht. (lacht)
Ordnung
Die Coronazeit habe ihm – der sich als ordnungsliebend bezeichnet – dazu Gelegenheit gegeben. „Weil ich Zeit hatte, durch die Garage zu gehen. Also Sachen, die ich drei Jahre nicht angegriffen habe, gebe ich weg.“ Er betreibe das nicht als Ausmisten – eher als Umverteilung.
Auch im Land würden sich „tausend Sachen und Meinungen“ anhäufen, meint Seidl. „Wir können auch die Wut aus Österreich raushauen. Alles, was wir nicht mehr brauchen und ohne dem wir trotzdem glücklich leben können, macht unser Leben reicher.“
Während unseres Telefoninterviews hört man einen Mann im Off, der Seidl fragt: „Gehören Sie da her?“ Seidl verneint kurz, sagt dann mit einem Schmunzeln: „Sehen Sie, man braucht diese Formulierungen, ob man etwas braucht, öfter als man glaubt.“
Ein Ziel der Show sei, „wirklich zu sagen, dass manche Dinge einfach notwendig und wichtig sind. Also die Wespe braucht es, auch die Rinderbremse hat in der Nahrungskette ihre Funktion, wenngleich sie mir fürchterlich auf den Senkel geht.“ Das Wissenschaftliche solle in der Show auch Fuß fassen, erklärt Seidl. „Wenn wir etwas wegbringen wollen, versuchen wir schon, das zu belegen. Es ist zwar kein Wissenschaftsmagazin, aber wenn sich Forscher melden und sagen: Moment, ihr habt’s ja keine Ahnung, was Wespen alles bewirken können, dann würd ich sie gern in die Sendung einladen. Das wäre meine größte Freud'.“
Zur Person
Gery Seidl ist in Wien geboren, wuchs im Bezirk Tulln (NÖ) auf. Derzeit spielt er sein sechstes Solo-Programm „Hochtief“ (2019), im Herbst folgt ein neues. Im TV u. a. „Bist du deppert!“ und „Sehr witzig!?“ (Puls 4), „Seidl und Fleischhacker im Außendienst“ (ORF)
Neu im Programm
Puls4 hat seinen Montag neu aufgestellt. „Held:innen des Spitals“ werden in drei Ausgaben (ab heute, 20.15 Uhr) bei ihrer Arbeit gezeigt. Nach „Brauch ma des?“ (21.20 Uhr) folgt um 22.20 Uhr die neue Show „Zack, Prack, Quiz“ mit Newcomer Paulus als Moderator. Am Donnerstag startet das neue Reportage-Magazin „Exakt“ (21.25 Uhr)
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