Disney-Serie "Deutsches Haus": Das schreiende Schweigen

Disney-Serie "Deutsches Haus": Das schreiende Schweigen
Die Miniserie „Deutsches Haus“ schildert packend die schleppende Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen aus der Sicht einer Gerichtsdolmetscherin.

Eine Gerichtsübersetzerin kommt an ihre Grenzen. Sie soll im Jahr 1963 Aussagen eines polnischen Zeugen ins Deutsche übertragen. Sie übersetzt etwas von einer „Herberge“, in der alle 850 sowjetischen Gäste in einen Keller geführt worden seien. „Dann warfen sie das Licht durch den Keller in die Lüftungsschächte und schlossen die Türen.“ Am nächsten Morgen seien die meisten Gäste „erleuchtet“ gewesen.

Was sie da übersetzt, sind erschütternde Berichte eines KZ-Überlebenden. Die „Herberge“ ist eine Baracke in Auschwitz, mit „Licht“ war eigentlich „Gas“ gemeint. Das Vokabular des Schreckens ist der jungen Frau überhaupt nicht geläufig.

Disney widmet sich in „Deutsches Haus“ nicht nur einem für den Unterhaltungskonzern unüblichen Stoff, die Serie öffnet auch ein wenig beleuchtetes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das allgemeine Schweigen.

Showrunnerin Annette Hess („Weissensee“, „Bahnhof Zoo“) setzte damit ihren Roman „Deutsches Haus“ als fünfteilige Miniserie um. Im KURIER-Gespräch erzählt sie, dass sie irgendwann die Wahrheit über ihren eigenen Großvater erfahren habe, der davor für sie – als Polizist – immer „ein Guter“ gewesen sei.

Schuld

„Ich empfinde es als persönliche Schuld, die ich aufzuarbeiten habe. Das sitzt im Magen, gar nicht so sehr im Verstand. Als Autorin habe ich nach einem Stoff gesucht, wie ich das umfassend erzählen kann.“ Vor rund zehn Jahren habe sie Tonbandaufnahmen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses von 1963 im Internet entdeckt. „Ich habe das 400 Stunden rauf und runter gehört. Vor allem eine polnische Dolmetscherin hat mich beeindruckt. Mit welcher Ruhe sie diese unfassbaren Zeugenaussagen übersetzt hat und wie sie damit den Zeuginnen und Zeugen auch Vertrauen eingeflößt hat. Die deutsche Familie Bruhns ist wiederum meiner Familie ein Stück weit nachempfunden.“

Disney-Serie "Deutsches Haus": Das schreiende Schweigen

Iris Berben glänz in ihrer Rolle als Holocaust-Überlebende Rachel Cohen, die ihre Aussage im Auschwitz-Prozess als Auftritt ihres Lebens sieht

Eva Bruhns, die Übersetzerin in der Serie, wird von Katharina Stark gespielt. Die 25-jährige Allgäuerin musste dafür eigens Polnisch lernen. Über ihre Figur sagt sie: „Am Anfang war für sie gar nicht klar, dass sie den Auftrag annimmt. Da ist sie noch ziemlich mit sich selbst beschäftigt und möchte ihr Leben optimieren, indem sie einen reichen Mann heiratet. Erst nach und nach begreift sie, dass es wichtig ist, sich für eine Aufgabe einzusetzen, und setzt ziemlich viel aufs Spiel“, für etwas, „das so viel wichtiger ist als das persönliche kleine Glück“.

Das kleine Glück, das sind hier Gänsebraten, Schlagermusik und ein Gasthaus namens „Deutsches Haus“. Die Eltern der Wirtstochter spielen Anke Engelke und Hans-Jochen Wagner.

Sittenbild

„Mir war auch wichtig, das Wirtschaftswunder zu zeigen, wie es bergauf ging“, sagt Autorin Hess. „Das war auch die Zeit, als die Stones ihren Durchbruch hatten. Das muss man sich mal vorstellen: Die Stones und dann diese Vergangenheit. Das existiert ja alles nebeneinander. Ich wollte auch ein Sittenbild dieser Zeit bauen.“

Eine Zeit, die auch Iris Berben, die eine Holocaust-Überlebende spielt, kritisch sieht: „Ich bin 1950 geboren. Ich kenne das Schweigen in Deutschland, ich kenne das Schweigen der Lehrer. Dieses Nicht-darüber-reden-Wollen hat zu einer Aufteilung geführt – in jene Menschen, die sagten, wir müssen Verantwortung dafür übernehmen, und wir müssen Leute in die Verantwortung bringen. Und in die andere Seite, die sagte: Nicht reden, weitermachen, Aufbau, beiseitekehren.“

Ihre Figur, Rahel Cohen, tritt vor Gericht den leugnenden Tätern gegenüber und schreit: „Alle habt ihr nichts gewusst! Du hast auch nichts gewusst von den Vergasungen!“ Eindrucksvoll ist auch eine Szene, in der Cohen mit einem gelben „Judenstern“ durch die Straßen geht und Polizisten ihr den Stern vom Mantel reißen. „Als ich diese Szene im Drehbuch gelesen habe, habe ich gestockt“, erzählt Berben. „Damals wurde man gezwungen, diesen Stern zu tragen, um sichtbar zu sein. Und wenn du ihn (als Jüdin oder Jude, Anm.) nicht getragen hast, war das ein Vergehen. Jetzt geht sie mit dem Davidstern auf diesem Markt und man reißt ihn ihr wieder herunter, damit er eben nicht sichtbar ist. Das war ein Moment, wo Geschichte so umgekehrt wird, das ist so klug geschrieben.“

Lange Interviews - auch zum gegenwärtigen Antisemitismus - finden Sie im Folgenden:

"Die junge Generation versteht heute nicht, warum Israel für Deutschland eine besondere Rolle einnimmt."

 

Disney-Serie "Deutsches Haus": Das schreiende Schweigen

Annette Hess (ganz rechts) mit Sabine de Mardt, Iris Berben, Katharina Stark und Anke Engelke (von links nach rechts)

"Das ,Nie wieder' darf nicht nur mit Sprechblasen gefüllt werden"

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