"Die Rechten können demagogisch sein, die Linken nicht."
Chantal Mouffe ist eine der weltweit gefragtesten Sozialtheoretikerinnen. Die Belgierin unterrichtet an der University of Westminster – und erregt mit ihrem neuen Buch aktuell Aufsehen.
In „Für einen linken Populismus“ (edition suhrkamp) argumentiert sie für eine Radikalisierung der Demokratie – und die funktioniere nur, wenn die Linksparteien populistischer würden. Derzeit aber, und das sei der Grund für die „Katastrophen“ bei den Wahlen, seien die Sozialdemokraten „Teil des Problems“, wie Mouffe im KURIER-Interview sagt. Zuletzt war sie für einen Vortrag beim „Humanities Festival“ des Wien Museums in Wien.
KURIER: Wir leben, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, in einem populistischen Moment. Warum ist die Linke da so abwesend, warum tut man sich so schwer mit dem Populismus?
Chantal Mouffe: Mal abgesehen von den Ultra-Linken, die mit der Demokratie brechen wollen, ist das wenig überraschend: Die sozialdemokratische Linke ist Teil des Problems. Sie sind so stark in die Mitte gerückt, sie haben die Idee akzeptiert, dass es keine Alternative zur liberalen Globalisierung gibt. Sie haben sich mitschuldig gemacht – bei Privatisierungen und Sparpolitik. Sie können nicht gegen das Problem auftreten, das sie mitverursachen. Und das ist der Grund, warum – mit Ausnahme von Großbritannien – die Wahlergebnisse der Sozialdemokraten in Europa so katastrophal sind. Frankreich, Holland, Österreich, Deutschland – das ist keine Überraschung. Die revolutionäre Linke ist da natürlich keine Alternative.
Die Rechtsparteien aber auch nicht – die lebten lange von Versprechungen, deren Einlösung aussteht.
Die Rechtsparteien sind deshalb so erfolgreich, weil sie Post-Politik machen.
Muss die Linke das auch?
Ich argumentiere, dass die Linke radikal reformerisch werden muss. Und zwar nicht darin, die liberale Demokratie abschaffen zu wollen – sondern sie grundlegend von Innen zu reformieren. Das ist es, was ich eine linkspopulistische Strategie nenne: Sie muss sagen, dass es wirklich möglich ist, durch den demokratischen Prozess die wichtigen Reformen zu schaffen.
Aber ist nicht ein Problem, dass die wichtigsten derartigen Reformen nur von Staaten gemeinsam geschafft werden können, weil man internationalen Effekten gegenübersteht? Die Rechtsparteien können hingegen Dinge versprechen – Grenzen zu, Lebensumstände für Minderheiten verschlechtern –, die sie alleine umsetzen können.
Ja, es ist leichter für die rechten Populisten. Sie können demagogisch sein, das können die Linken nicht. Die müssen Versprechungen machen, die nicht auf Illusionen basieren. Das ist nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Denn wir leben eigentlich in einer Krise der neoliberalen Vorherrschaft. Nach 2008 glauben die Menschen nicht mehr, dass Neoliberalismus das wahre Modell ist. Wir haben gesehen, was passiert ist. Das populistische Moment entstand dadurch, dass es Widerstand gegen den Neoliberalismus gibt.
Der Widerstand rührt aber an den Grundfesten der Demokratie.
Es gibt auch antipopulistische Hysterie. Nur weil jemand den Konsens kritisiert, zerstört er noch nicht alles. Da gibt es Panik jener, die sich bedroht fühlen, und sie versuchen, jede Kritik zu entwerten. Für mich ist das ein Zeichen, dass sich etwas verändert. Aber da geht es natürlich nicht darum, das Rad der Globalisierung vollständig zurückzudrehen. Die hat auch positive Aspekte. Aber wir sind an einer Weggabelung, an der andere politische Vorgaben möglich sind.
Und vielleicht auch notwendig.
Es setzt sich auch in Amerika das Bewusstsein durch, dass wir die Umwelt ruinieren. Die Menschen werden offener der Idee gegenüber, dass wir ein anderes Modell der wirtschaftlichen Entwicklung brauchen.
Aber brauchen wir wirklich eine weitere, diesmal linke populistische Position? Die Politik ist schon aufgeregt genug, die Demokratie wirkt beschädigt.
Ja, aber die wurde nicht durch Populismus beschädigt, sondern durch den sogenannten dritten Weg der Sozialdemokratie. Das populistische Moment ist eine Reaktion genau darauf. Die Menschen brauchen eine Wahl, wenn sie wählen gehen. Wenn die Mitte-Parteien eigentlich das Selbe bieten, gibt es die nicht. Und dann verlieren die Wähler ihren Einfluss. Wir sind in einer Krise der Demokratie – aber der Populismus ist nicht der Grund.
Und deswegen muss sich die Linke radikalisieren?
Die Demokratie selbst muss sich radikalisieren! Es hat hier viele Rückschritte gegeben. Als erstes müssen wir die Demokratie wiedererlangen. Politik ist notwendigerweise parteiisch, es gibt Abgrenzungen, Gegensätze. Und das wurde aufgegeben. Wir brauchen eine Rückkehr des Politischen, auch des Konflikthaften, um Demokratie wiederzuerlangen. Dafür braucht es linken Populismus.
Was heißt denn das genau?
Das heißt, sich nicht nur auf Wirtschaft zu beschränken. Es gibt viele weitere demokratische Herausforderungen, feministische, antirassistische, umweltpolitische. Alle diese Sachen müssen gemeinsam formuliert werden.
Ist da aber der Begriff „links“ nicht zu kurz gefasst? Vor allem, weil dieser Begriff zuletzt so entwertet wurde, dass er für weite Teile der Mittelschicht Ablehnung hervorruft.
Ja, das kann man debattieren, manche möchten ihn auch progressiven Populismus nennen. Es geht da um gewisse Werte. Wenn eine Trennlinie gezogen wird zwischen dem Volk und den Oligarchen – soll man das links nennen?
Vor allem, weil die Rechten auch den „kleinen Mann“ ansprechen, mit einer Art eingeschränktem Sozialpakt, der auf Ausschließung anderer beruht.
Die populistische Strategie ist keine Regierungsform, sie ist eine Strategie. Populismus ist ein Weg, um eine neue Grenze zu ziehen. Es gibt noch einen Konflikt, den man Klassenkampf nennen kann – aber es gibt ganz viele andere, die man nicht darauf reduzieren kann. „Das Volk“ sind heute viele. In jeder populistischen Strategie ist „das Volk“ eine politische Konstruktion. Die Rechten konstruieren immer ihr „Volk“, aber auf höchst verschiedene Art. Manche inkludieren da die „guten Immigranten“. Die Gegner? Pensionsfonds, Oligarchen.
Wird „die Linke“ wiederauferstehen?
In Großbritannien ist sie nahe daran, an die Macht zu kommen. Die Sozialdemokraten unter Jeremy Corbyn fahren eine linkspopulistische Strategie – und sagen das auch. Das zeigt, dass diese Strategie funktionieren kann. Und es ist die einzige, um den rechten Populismus zu stoppen.
Kommentare