"Deutschland 86": Vom RTL-Flop in die Amazon-Auslage

DDR-Spionin Lenora Rauch und ANC-Aktivistin Rose Seithathi in getrennten Fahrstühlen in Kapstadt.
Deutschland 86. Die Fortsetzung der RTL-Serie läuft auf Prime Video. Und ist perfekte Streaming-Ware.

Die hier besprochene Serie war der Wasserscheidenmoment für das herkömmliche Fernsehen in unseren Breiten: „Deutschland 83“ war eine flächendeckend beworbene achtteilige Serie, die RTL in Doppelfolgen an vier Abenden ausstrahlte – und damit brutal floppte. Die Macher waren frappiert: Die Ufa Fiction-Produktion war ein Kritikerhit und hatte internationale Abnehmer. Allein: Die horizontal erzählte Spionagegeschichte um einen DDR-Agenten, der in der westdeutschen Armee eingeschleust wird, war eher Stoff für die neuen Sehgewohnheiten als für das bemühte Format „Event-TV“. Der Stoff schien in Vergessenheit zu geraten, die Produktionsfirma Ufa Fiction war ratlos. „Was lief schief?“, fragte sie verzweifelt auf ihrer Facebookseite. Heute wissen wir es.

Neue Heimat Hochglanz

Nächster Akt: Die DDR ist in der Fortsetzung drei Jahre älter, und der Serienstoff ist in den auch real vergangenen drei Jahren endlich dort angekommen, wo er hingehört: In der Hochglanz-Auslage von Amazons Streamingdienst Prime Video. „ Deutschland 86“ ist nun ein Prestigeprojekt des amerikanischen Giganten. Und als Konsument versteht man endlich, warum man sich diesen Stoff anschauen sollte .

Das Spionagedrama rund um den Agenten Martin Rauch (Jonas Nay) und seine Tante Lenora (Maria Schrader) ist im Setting internationaler geworden und spielt zwischen Kapstadt und der DDR. Der real existierende Sozialismus ist in einer tiefen Krise: Gorbatschow ist dabei, den Warschauer Pakt aufzugeben. Die DDR kann ihre Schulden im Westen nicht zurückzahlen, Engpässe bei Lebensmitteln sind die Folge. „Der Staat steht kurz vor der Pleite“, sagt die Buchhalterin Barbara Dietrich (Anke Engelke) in einer Sitzung der Hauptverwaltung Aufklärung, kurz HVA, dem Auslandsgeheimdienst der DDR. Ihr Job ist es, durch die Hintertür Devisen ins Land zu bringen.

Der Weg führt über Südafrika: Dort ist die DDR-Agentin Lenora Rauch gemeinsam mit der ANC-Aktivistin Rose Seithathi (Florence Kasumba) damit beschäftigt, einen westdeutschen Waffendeal mit dem Apartheid-Regime einzufädeln. Ironischerweise – denn sowohl die ostdeutsche als auch die geheime Soldatin Nelson Mandelas gehen ein Geschäft mit dem Teufel ein, um die eigene Kriegskasse zu füllen. Davor muss noch Martin Rauch aus seinem Versteck in Angola geholt werden. Dorthin war er nach dem Ende der Staffel eins verbannt worden.

In einem Zug

Deutschland 86“ spielt von der ersten Minute an alle Stücke modernen Fernsehens, das in einem Zug konsumiert werden will. Die Ästhetik, mit der die 1980er Jahre an allen Handlungsorten wieder auferstehen, ist atemberaubend.

Sehenswert und charakterstark ist der Cast: Nay als skeptischer, aber willensstarker Agent glänzt an der Seite seiner flamboyanten Tante, die mit asymmetrischer Frisur und Schulterpölstern durch die Todesfallen der Zeitgeschichte stöckelt. Überhaupt machen die weiblichen Charaktere die Serie erst richtig stark. Absolute Empfehlung.

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