Das Leben der Journalistin Hella Pick: Aus Wien ganz nah an die Weltpolitik

Das Leben der Journalistin Hella Pick: Aus Wien ganz nah an die Weltpolitik
Die heute 93-jährige musste als Kind aus Österreich fliehen und wurde prägende Journalistin in Großbritannien. Ein Gespräch über Gorbatschow, Kreisky, Putin, das Ausseerland und ihre Wurzeln.

"Ich habe oft ganz einfach Glück gehabt“, sagt Hella Pick.

Und zwar Glück in vielerlei Hinsicht. Die heute 93-Jährige wurde als Jüdin aus Österreich vertrieben; sie entkam 1939 mit einem sogenannten Kindertransport nach England. Und wurde später eine der renommiertesten Journalistinnen des Landes: Sie war eine der ersten Auslandskorrespondentinnen, die über die Dekolonialisierungsjahre in Afrika berichtete, als sich die Länder dort von England und Frankreich zu lösen begann. Für den Guardian berichtete sie unter anderem über den Fall des Eisernen Vorhanges und die ersten, optimistischen Jahre nach dem Kalten Krieg, über die Bewegung rund um Martin Luther King oder auch über John F. Kennedy.

Letzteren, so erzählt Pick im KURIER-Gespräch, traf sie nur einmal – dafür aber auf ungewöhnliche Art: „Ich bin gestolpert und in seine Arme gefallen“, sagt Pick mit einem Lachen in Wien, wo sie unter anderem heute bei den Wiener Vorlesungen ihr Buch „Unsichtbare Mauern“ (Czernin Verlag) präsentiert.

Wenige Staatsmänner

Sie war 1989 an Bord des sowjetischen Kreuzfahrtschiffs Maxim Gorkiy, als Gorbatschow und Bush senior einander dort zum entscheidenden Gespräch über das Ende des Kalten Krieges trafen. Sie hat sich mit dem damaligen sowjetischen Außenminister Schewardnadse so gut verstanden, dass dieser „meine Fragen auch beantwortet hat“. Sie war mit Willy Brandt befreundet und sprach mit ihm über „den Holocaust, über Moral und deutsche Geschichte. Das waren für mich sehr wichtige Gespräche, die mein Denken über Deutschland und das Nazitum geändert haben“, wie sie erzählt.

Sie lernte Kreisky kennen – „seine guten Seiten und seine schlechten Seiten“. Wie lassen sich denn die heutigen Politiker mit diesen Kalibern der Weltgeschichte messen? „Es gibt heutzutage wenige wirkliche Staatsmänner, Staatsfrauen“, sagt Pick. Putin sei natürlich bedeutend, auch der ukrainische Präsident Selenskij sei „eine Weltfigur geworden“. Aber „in den Demokratien herrscht totaler Mangel an bedeutenden Figuren“. Das habe man zuletzt beim Brexit in England gesehen. Und auch in Österreich „kann man von den Politikern nicht wirklich sagen: Das ist ein Mensch, der das Land gut führen kann und in der Welt profilieren kann. Das fehlt uns sehr.“

Warum ist das so? „Die wirklich gescheiten Leute gehen jetzt nicht so gerne in die Politik. Die Experten, die einen politischen Sinn haben, haben nicht den Willen, sich von den sozialen Medien ausbeuten zu lassen. Und Experten sind heutzutage leider nicht sehr beliebt.“

NATO-Erweiterung

Sie selbst ist ja Osteuropa-Expertin. War der heutige Konflikt mit Russland damals, als der Eiserne Vorhang fiel, abzusehen? „Damals hat man ja das Gegenteil gefeiert: dass endlich der Kalte Krieg vorbei war“, sagt Pick. „Ich persönlich war von Anfang an nicht überzeugt, dass sich die NATO in Osteuropa vergrößern soll. Ich habe immer gehofft, dass die Grenze zwischen der NATO und was auch immer in Russland passiert, Deutschland bleibt. Damals haben viele Leute so gedacht. Aber es ist geschehen.“ Und Putin? „Nicht viele konnten damals wirklich ahnen, dass eine Putin-Figur das Land übernehmen wird. Ob er sich verändert hat oder ob er immer so war, das kann ich nicht beurteilen. Jetzt natürlich behaupten viele, sie haben es immer gewusst.“

Zur Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands jedoch habe „ein gewisser Optimismus in Europa und Amerika“ geherrscht. „Ich dachte nicht, dass dieser neue Kalte Krieg wieder kommen wird.“

Ihre Anfänge auf dem Weg zur prägenden Journalistin nahm Pick in Afrika: Sie berichtete – als so gut wie einzige Frau war sie journalistische Pionierin – aus jenen Ländern, die sich von den Kolonialherren in Großbritannien und Frankreich lossagen wollten. Auch dort, erzählt Pick, habe sie viel Optimismus erlebt: „Es gab die Utopie eines unabhängigen Afrika.“ Obwohl sie eine unerfahrene Journalistin war, bekam sie gleich Zugang zu jenen afrikanischen Politikern, die unabhängige Staaten gründen wollten. „Die waren alle sehr zugänglich und sehr froh, dass ich mit ihnen rede. Eine hochinteressante Zeit.“

Schuldiges Opfer

Und Österreich? Von hier wurde sie als Kind vertrieben; erst nach dem Erscheinen der englischsprachigen Originalausgabe ihrer Autobiografie erfuhr sie das genaue Schicksal ihrer Großmutter, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Nachdem sie den Guardian verlassen hatte, schrieb sie ein Buch über Österreich: „Guilty Victim“, also etwa „schuldiges Opfer“, nannte sie dieses.

Sie selbst kehrte nach dem Krieg immer wieder nach Österreich zurück, urlaubt jährlich im Ausseerland. Wie geht es ihr mit dem Land? „Ich komme gerne her“, sagt sie. „Zuerst bin ich als Touristin nach Österreich gekommen, nicht als Österreicherin. Aber Kreisky hat viele Emigranten zusammengebracht, um zu zeigen, wie weit es Österreich geschafft hat. Und um die Menschen zurückzubringen. Ab dann hab ich wirklich wieder angefangen, wieder als Österreicherin zu kommen.“

Sie könne „nicht vergessen, dass meine Wurzeln hier sind“. Und ebenso könne sie nicht vergessen, was in Österreich alles geschehen ist. „Das sind zwei Elemente, mit denen ich gelernt habe, zu leben.“

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