Materialflut mit viel Theaterblut: Eine verirrte Sinfonie

Als hätte Hermann Nitsch bei „paradies fluten“ Regie geführt: Das Ensemble balgt sich im Theaterblut, bis es ermattet.
Österreichische Erstaufführung: Robert Borgmann wusste mit "paradies fluten" von Thomas Köck wenig anzufangen.

In seinem etwas ausufernden Stück "paradies fluten", das am Samstag seine österreichische Erstaufführung erlebte, verwendet Thomas Köck kein anderes Wort so häufig wie "Materialflut". Und es ist auch eine solche.

Der junge Dramatiker, 1986 in Steyr geboren, empfiehlt für die Aufführung u.a. ein erschöpftes Tanzensemble, ein ertrinkendes Symphonieorchester und ein bühnenfüllendes Wrack eines Transportschiffes der dänischen Reederei Maersk Line aus dem frühen 21. Jahrhundert. Das erinnert an die absurden Szenerien in Wolfgang Bauers "Mikrodramen" aus den 1960ern, darunter ein Stadion mit 150.000 Zuschauern oder eine DC-6.

"paradies fluten" ist, keine Frage, eine Herausforderung an die Regie. Und da es sich nur um Empfehlungen handelt, kann man es auch ganz anders machen.

Regisseur Robert Borgmann macht es sogar konträr. Laut den Anweisungen zur Ouvertüre – das Stück trägt den Untertitel "verirrte sinfonie" und besteht aus mehreren Sätzen mit halbwitzigen Tempi-Angaben wie "marziale fuoco" oder "parlando forte" – betreten zwei alte Frauen, nicht Parzen, sondern bereits "Postparzen", hektischen Schritts die Bühne und laufen zur Rampe. Das Chaos bricht schließlich aus: Eine Sicherung explodiert, ein Ölförderschlauch erbricht "wie trunken torkelnd" dunkles Rohöl. Im Akademietheater jedoch tropft es nur leise auf die glänzendnasse, schwarze Bühne. Und mit größtmöglicher Langsamkeit bewegen sich zwei silbrig geschminkte Figuren im Gleichschritt nach vorne, um dann ein langgedehntes "Shit!" zu hauchen.

Sabine Haupt wird uns hernach klar machen, dass die Erde zum Untergang verurteilt sei, denn in 3,5 Milliarden Jahren werde die Sonne um 40 Prozent heißer strahlen, was zu Folge habe, dass der Mariannengraben im Trockenen liege. Danach, im ersten gedichtartigen Teil, darf Elisabeth Orth, etwas verloren, das Wort "Jammermariannengrabental" sagen.

Und dann wird zu sirenenartiger Elektronikmusik (von Philipp Weber) die gerade so moderne Dystopie ausgelebt. Mit Inbrunst. Derart viele Stroboskopblitze hat man seit den 80er-Jahren in den Discos nicht mehr gesehen. Nebelschwaden und Videoprojektionen, aufgestellte Platten mit 1134 Glühbirnen als Symbol der Sonne: Ausstatterin Thea Hoffmann-Axthelm greift in die Vollen.

Blutüberströmt

Ihr plastifiziertes Bühnenbild ist zudem praktikabel: Es besteht aus einem Schiffsmasten, der auch als Baumstamm dient (etliche Szenen spielen im Regenwald Brasiliens); und das herabhängende Segel verwandelt sich mehrfach in eine Projektionsfläche – bzw. leicht abwaschbare Unterlage: Ein blutüberströmtes Ensemble entert die Bühne, bewirft sich mit Erde, spielt im Gatsch. Später balgt und wälzt es sich in roter Farbe. Das ist nichts anderes als das orgiastische Aktionstheater des Hermann Nitsch.

Köck, bewandert in Ökonomie und Ökologie, wirft in seinem Text mit Schlagwörtern um sich, er lässt etliche Szenen in Manaus zur Zeit des Kautschuk-Booms spielen – inklusive Oper, Caruso, Arien, Kapitalismus- und Kolonialismuskritik. Und dann erzählt er in drei Teilen von einer europäischen Verliererfamilie; die Figuren – Katharina Lorenz als nervöse Mutter, Peter Knaack als verträumter Vater, Aenne Schwarz als tanzende Tochter – sprechen von sich in der dritten Person.

Und sie verwenden amüsante Wörter. Leider hat Bormann Köcks Empfehlung "Viel Spaß!" überlesen: Er klebt sehr starr an der Vorlage und illustriert nur. Auch wenn sich alle echt ins Zeug legen(Philipp Hauß spielt sogar mit eingeschaltem Bein): Keinen Moment lang entwickelt der dreistündige Abend, der mit der Pause in zwei Teile zerfällt, einen solchen Sog oder Witz, wie vor ein paar Jahren das ebenfalls kolonialismuskritische Stück "Die lächerliche Finsternis". Das Publikum klatschte dennoch.

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