Martin Suter: „Ich bin nicht käuflich – außer durch Charme“

Interview mit Autor Martin Suter.
Autor Martin Suter liest im Herbst aus seinem Roman „Wut und Liebe“ in Wien. Im Interview spricht er über Auftragsmord, lustige Verrisse und Liebe über den Tod hinaus.

Eigentlich hatte Martin Suter Urlaub. Vielleicht war er deswegen so gut gelaunt beim Interview mit dem KURIER. Über einem Omelett mit „abgezählten“ Schnittlauch-Röllchen („Ich darf nämlich nur 48 am Tag davon essen“) sprach er über Rachegelüste, Vergesslichkeit beim Schreiben und warum seine verstorbene Frau nie ganz weg ist. Dazwischen machte er Fotos von der Interviewsituation für ein neues Format auf seiner Homepage, „Martin Suter und seine Leica-Lux“. Auf so ein Shooting können sich wohl auch Besucher seiner Lesung einstellen, die am 11. September im Konzerthaus stattfindet.

KURIER: In Ihrem Roman „Wut und Liebe“ wird ein Künstler als Auftragsmörder gedungen. Wie viel müsste man Ihnen zahlen, dass Sie einen Mord begehen?

Martin Suter: Da kriegen sie mich nicht. Da bin ich nicht käuflich. Ich bin sowieso nicht sehr käuflich – außer durch Charme. Nein, ich müsste schon ein Motiv haben. Wenn ich verhindern kann, dass meiner Tochter etwas Schlimmes passiert, dann schon.

Sie haben gesagt, in diesem Roman wollten Sie das Rachemotiv verarbeiten – wie in einem Western. Haben Sie einen Lieblingswestern?

Ich bin ein bisschen aus der Western-Phase raus, aber „Unforgiven“ war gut. Der hat ein klassisches Revengethema. Auch „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ich habe früher die Italowestern sehr gemocht, weil die auch so gestylt und reduziert waren, ohne Firlefanz eingekocht auf das Thema.

Ihr Roman heißt „Wut und Liebe“ – welches Mischverhältnis von Wut und Liebe ist in einer Beziehung denn gut?

Mehr als zehn Prozent Wut sollten es nicht sein.

Das Beschreiben von Kunst ist ein großer Teil dieses Romans – und zieht sich durch ihre Schriftstellerlaufbahn. Warum fällt Ihnen das leicht?

Die Kunst und den Kunstbetrieb zu verstehen finde ich immer sehr schwer. Als ich in Wien gelebt habe, war ich verheiratet mit einer jungen Künstlerin, das war so eine Art Kinderehe, sie war 18, ich grad 20. Ich fand alles wunderbar, was sie gemacht hat, aber ich war auch verliebt. Aber schon da hab ich mich gefragt, wie kann es sein, dass bei zweien, die das gleiche machen, nämlich Kunst, einer Riesenerfolg hat und der andere bleibt sein Leben lang unentdeckt. Meine Ex-Frau Vivian, mit der ich noch befreundet bin, hat beides erlebt. Sie ist jetzt eine international gewürdigte Künstlerin geworden, mit fast 70 Jahren hat das angefangen. Meine Tochter wurde jetzt auf der Zürcher Hochschule der Künste aufgenommen, dadurch bin ich weiterhin zusammen mit jungen Künstlerinnen und Künstlern, das gefällt mir gut. Deswegen ist es für mich keine fremde Welt.

Hat sich die Kunstwelt in den 50 Jahren verändert?

Die Kunstwelt hat sich sicher sehr verändert, die Kunstprodukte sind ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor geworden, das sind ja Vermögenswerte, Spekulationsobjekte, das hat sich extrem verstärkt. Aber ich habe gestaunt: Als ich Vivian kennengelernt habe – da war sie in der Kunstgewerbeschule in Basel –, nahm sie mich mit zu ihren Freunden, zu Performances. Jetzt gehe ich mit meiner Tochter zu Vernissagen und es passieren eigentlich die gleichen Sachen. Was mich aber sehr fasziniert: Die berüchtigte Gen Z, die „Generation ohne Zukunft“, die „Last Generation“ ist in dieser Kunstszene ganz anders: Die freuen sich auf ihre Zukunft, die wollen Kunst machen. Das hat mich sehr an die Zeit erinnert, als ich 18 war.

Ein Triptychon von Künstler Noah aus drei Porträts der Frau, die ihn verlassen hat, spielt eine wichtige Rolle im Roman. Was für ein Triptychon würden Sie kaufen?

Also dreimal die gleiche schöne Frau find ich nicht das Schlechteste. Von mir aus kann es auch fünfmal sein. Ich bin kein Kunstsammler, ich habe aber viel Kunst. Da gibt es nichts von jemandem, den ich nicht persönlich kenne. Ich verstehe zu wenig von Kunst, als dass ich etwas beurteilen kann ohne die Person und die Geschichte dahinter. Ich habe keine Kunst von jemandem, den ich nicht mag.

Inspiriert Sie die Kunst, die Sie bei sich hängen haben, auch beim Schreiben?

Inspiration ist sowieso ein Rätsel und ein Mythos, viele Künstler mystifizieren das. Ich habe mir nie leisten können, unter einem Zwetschkenbaum mit Grashalm im Mund auf Inspiration zu warten. Für mich war das immer Arbeit, ein Satz inspiriert mich zum nächsten Satz.

Noah hält nicht viel von Marketing für seine Kunst – dabei kann man das durchaus spielerisch machen, wie Sie auf Ihrer Homepage …

Ich liebe meine Homepage. Ich habe jetzt auch ein Kritikquiz …

Ja, da müssen Sie aus dem Ausschnitt einer Buchkritik erkennen, welches Ihrer Bücher gemeint ist. Sehr oft schaffen Sie das nicht…

(Lacht) Ja, das ist auch sehr schwierig. Ich habe Nora Zukker (Journalistin beim Tages-Anzeiger und Fragenstellerin im Quiz) schon gesagt: Kannst du nicht beim nächsten Mal eine positive Kritik nehmen, aber sie findet halt die Verrisse viel lustiger.

In „Wut und Liebe“ kommt ein Kater Felix vor, aber sein Schicksal wird nicht aufgelöst. Was wurde aus ihm?

Es ist ein Vergessener. Aber es hat noch niemand bemerkt. Mir passiert das manchmal: Im ersten Allmen-Roman hat er sich immer das Rauchen abgewöhnt mit einem Stift, und irgendwann nach dem fünften Buch habe ich mir gedacht, Moment, hat der nicht … Der Protagonist in „Melody“ hat Saxofon gespielt, das habe ich völlig vergessen. Ich geb’s zu, ich habe den Kater vergessen. Ich werde auf der Homepage schreiben, was mit dem Felix passiert ist.

Sie haben sich einmal als „unangemessen glücklich“ bezeichnet …

Das bin ich nicht immer, aber oft. Ich gehöre zu diesen unbeliebten Morgenfröhlichen, meine Tochter findet das gar nicht cool. Schon kurz nach der Bestattung meiner Frau sind wir nach Rom abgehaut, da hatten wir eine Wohnung beim Kolosseum und ich war unangemessen glücklich. Ich habe auch einmal mit einem Psychiater darüber geredet, der hat gesagt, das bedeutet nur, dass du psychisch gesund bist.

Die psychiatrische Freigabe zum Glücklichsein hat auch nicht jeder.

Nein, das war es nicht. Meine Frau war bei diesem Psychiater und hat mich mitgenommen, nachdem unser Söhnchen gestorben ist. Sie meinte, ich verdränge das. Der Psychiater hat gesagt: „Verdrängen muss man auch können“. Das war schon eher eine psychiatrische Freigabe. Normalerweise würde man erwarten, er sagt, man muss das verarbeiten. Ich glaube nicht, dass man das verarbeiten kann. Damit wird man nicht fertig. Das bleibt.

Ihre Frau, mit der Sie 50 Jahre zusammen waren, ist vor zwei Jahren gestorben. In der Danksagung in „Wut und Liebe“ schreiben Sie, dass sie immer Ihre erste Leserin war und das auch bleibt. Wie ist das zu verstehen?

Ohne dass ich das bewusst mache, ist beim Schreiben immer in meinem Kopf: Wie findet sie das? Oder: Da würde sie sagen, das ist ein bisschen manieriert, oder das ist eine Wiederholung und so weiter. Wenn man so lange zusammen war, dann kann man nicht mehr so unterscheiden zwischen sich und dem anderen. Da reicht auch nicht ein Tod, um sich zu trennen. Das meine ich nicht religiös. Sie ist präsent und das ist toll, das ist nichts, was mich beunruhigt.

Zurück zur Eingangsfrage: Wenn nun jemand sagen würde: Deine Frau könnte wieder lebendig werden, wenn du jemand anderen umlegst, wäre dann der Auftragsmord für Sie denkbar?

(Denkt nach) Nein, dafür ist meine Frau nicht tot genug.

Lesung mit Caroline Peters und Dirk Stermann: 11. September, Konzerthaus.

"Wut und Liebe" ist erschienen bei Diogenes.

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