Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Der Stadtspaziergang führt selbstverständlich auch zum Zürichsee ....
Bestsellerautor Martin Suter über Falschgeld, Drogen und nie verheilende Wunden

Montagfrüh am Zürcher Sechseläutenplatz. Der Franken steht hoch und ein neuer Bankenskandal beschäftigt Europa und die Schweiz. Ein guter Zeitpunkt für einen Spaziergang mit dem Schweizer Erfolgsautor Martin Suter, der dieser Tage seinen neuen Roman veröffentlicht – in dem es ausgerechnet um schmutzige Schweizer Bankengeschäfte geht.

Suter lebt seit vergangenem August wieder in seiner Heimatstadt. Nach Jahren in Ibiza und Guatemala ist er mit seiner Frau, der Mode-Designerin und Architektin Margrith Nay Suter, und seiner Tochter wieder hierher zurückgekehrt. Er mag die Infrastruktur, den tadellosen Öffiverkehr, die gute Lage.

Suter wird uns „sein“ Zürich zeigen: Den See, der Trinkwasserqualität hat, in dem er aber trotzdem nicht badet („Ich bin kein großer Schwimmer“); das Großbankenviertel, in dem erfundene und reale Skandale stattfinden und das ihm als Inspiration für seinen Roman diente; das schicke Einkaufsviertel an der Bahnhofsstraße, das am selben Ausverkauf wie Wien und nahezu jede Großstadt dieser Welt leidet: Überall nisten sich dieselben internationalen Ketten ein, die die Stadt ihrer Identität berauben. Dennoch gibt es auch hier noch typisch schweizerische Kleinode wie das Glockenspiel, auf dem sich zu jeder vollen Stunde die Trachtenpärchen drehen: „Guete Sunntig mitenand, häisst's im ganze Schwyzerland“. Suter, dieser so distinguiert wirkende Herr im feinen Wollmantel und den Maßschuhen, singt fröhlich mit. Er wird an diesem Vormittag noch mehrere unerwartete Dinge tun.

Etwa, bei seinem Lieblingsbäcker für die Redakteurin Brot kaufen. Oder uns den besten Wurstladen in der Altstadt zeigen: Bei Prétôt Delikatessen in der Kuttelgasse gibt es Spezialitäten wie Appenzeller Siedwurst, Bauernschüblig oder Emmentaler Schweinswürstli.

Bei Suters wird es an diesem Abend ein etwas frugaleres Mahl geben. Hühnerbrust und gedämpftes Gemüse. „Man muss schon aufpassen“. Wenn er einmal über die Stränge schlägt, dann tut er das gern in der Bodega Española, einer Spanischen Weinhalle aus dem Jahr 1874. In das hübsche Lokal im Zürcher Niederdorf wird er uns dann noch zum „Apéro“ begleiten.

Zurück wird der Duft seines Eau de Toilettes bleiben, es riecht altmodisch, sagt er selbst. Nach Weihrauch. „Damit riecht man wie der Papst“. Suter spricht mit einer leisen Fröhlichkeit, freimütig und offen.

Das Interview, das wir an diesem Morgen führen, hat er zur Sicherheit mitaufgezeichnet. Letztens ist es passiert, dass einer Journalistin das Aufnahmegerät nach dem Interview in den Kanal gefallen ist. Sie war über einem Gully gestanden, das Diktiergerät hat genau zwischen die Gitterstäbe gepasst. Solche Zufälle sind typisch für Suter-Geschichten. Er selbst hat ja auch einschlägige Erfahrungen. Vor vielen Jahren sollte er einmal einen afrikanischen Musiker interviewen. Der tauchte zwar nicht auf, dafür aber einige seiner Frauen, die Joints brachten. Man probierte. Und unterschätzte das nigerianische Gras. Das Interview gestaltete sich schwierig. „Ich verstand die Wörter, aber nicht den Inhalt“.

Bei folgendem Interview wurde übrigens nur die Droge Koffein konsumiert.

KURIER: Wir sitzen hier am Sechseläutenplatz, der ja bis vor einigen Jahren recht heruntergekommen war. Die Zürcher haben abgestimmt, dass dieser Platz umgestaltet wird – und dafür den nötigen 17,2-Millionen-Franken-Kredit gutgeheißen. (Anmerkung: Zum Vergleich: Die Umgestaltung der Mariahilferstraße kostete 25 Millionen Euro).

Martin Suter: Man sieht die 17 Millionen nicht auf den ersten Blick. Früher war das eine Wiese, jetzt hat der Platz einen seltenen Granitbelag bekommen, unten gibt es ein zweistöckiges, sehr elegantes Parkhaus. Und eine Ausstellung von Pfahlbauten. Ich finde das ist ein sehr gelungenes Unterfangen.

Wird über städtebauliche Projekte in Zürich viel diskutiert? Beteiligen Sie sich an solchen Diskussionen?

Nur, wenn ich gefragt werde. Ich war ja bis letzten August Auslandsschweizer. Ich rufe nicht für jedes politische Problem die Redaktionen an.

Sie haben Zürich nach 22 Jahren im Ausland erst wieder neu kennengelernt. „Montecristo“ spielt explizit in Zürich. Hat das etwas mit Ihrer Rückkehr zu tun?

Nein, das ist einfach eine Geschichte, die muss in Zürich spielen. Man hat ja bei allen Geschichten gemerkt, dass sie wahrscheinlich in Zürich spielen. Aber hier gibt es keinen Zweifel.

Nun machen Sie sich mit Ihrem neuen Roman bei den Schweizern eventuell etwas unbeliebt. Denn ausgerechnet in der Schweiz wird darin illegal richtiges Geld gedruckt.

Bis jetzt konnten meine Leser immer unterscheiden zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Unterwegs im Schwyzerland

Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Mit Martin Suter in Zürich
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Mit Martin Suter in Zürich
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Mit Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Martin Suter in Zürich
Schweizer Erfolgsgeheimnisse

Martin Suter

Bei Houellebecq kann die Welt offenbar nicht unterscheiden.

Ja, das ist mir auch aufgefallen. Auch bei meinem Roman fragen viele Journalisten: Ist das wirklich so in der Schweiz? Ich muss immer sagen: Ich bin kein Enthüllungsjournalist, ich bin Romancier.

Wie haben Sie denn den Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung dazu überreden können, Sie bei diesem für die Finanzverwaltung nicht gerade schmeichelhaften Roman zu beraten?

Er ist nicht mehr Direktor.

Schon vor dem Roman nicht mehr?

Ja, schon vorher nicht mehr. Nun, die Experten haben alle diese Prämissen akzeptiert. Ich habe ihnen den Plot erzählt, sie haben gelächelt und gesagt, das wäre nicht sehr wahrscheinlich, aber haben bereitwillig und vergnügt geholfen.

Sie schreiben seit langem über die Schwächen der Managerkaste. Durch die Finanzkrise wurde die Branche ganz schön gebeutelt. Ihrer Einschätzung nach: Ist die alte Hybris wieder da?

Ich glaube, sie ist ein bisschen diskreter geworden, aber nicht grundsätzlich geläutert.

Sie selbst waren schon unglaublich früh sehr erfolgreich, waren schon mit 24 Jahren in der Geschäftsleitung der Wiener Werbeagentur GGK. In diesem Alter sind andere noch nicht einmal mit dem Studium fertig. Ist das auch ein Nachteil, so früh schon so wahnsinnig erfolgreich zu sein – ereilt einen da auch die Midlife-Crisis früher?

Ja, die kam schon früh, die Midlifecrisis. Und der Erfolg... das war damals alles viel spielerischer, als es heute wäre. Ich habe es auch immer wieder aufgegeben, immer was anders gemacht. Ich bin mit 25 nach einem Jahr Wien ein Jahr durch Afrika gereist. Dann bin ich zurückgekommen, wollte Schriftsteller werden, aber es hat mich immer in die Werbung gezogen, weil es so leicht und spielerisch verdientes Geld war. Und ich hatte immer einen etwas teuren Geschmack. Das ist ein Fluch und ein Segen.

Sie schreiben nun über einen nicht mehr ganz jungen Mann, Jonas Brand, Ende dreißig, der sich so gar nicht aufs Karrieremachen einlassen will. Eine Reaktion auf Ihre eigene frühe Karriere?

Er verweigert die Karriere nicht, aber er will sie nicht auf dem Gebiet, auf dem er sein Geld verdient. Er hat nicht den Ehrgeiz und den Spaß, den ich in der Werbung hatte. So ist das eben, wenn man einen Kompromissjob macht. Ich habe meinen Job immer mit Spaß gemacht, das würde ich dem Jonas Brand auch raten, wenn er mich fragen würde.

Sie haben immer, wenn Sie keinen Spaß mehr hatten, etwas anderes gemacht?

Ja, ich gehörte dieser glücklichen Generation an, die keine Existenzängste haben musste.

Ist das eine Generationenfrage? Haben es die Jungen heute schwerer?

Ich glaube schon. Viele von uns haben Jobs aufgegeben und keinen Moment gezweifelt, dass sie wieder einen bekommen. Das ist jetzt völlig anders. Und damals war Werbetexter ein seltener Beruf. Das waren gesuchte Leute.

Viele von ihnen sind dann Schriftsteller geworden.

Wir waren alles verhinderte Schriftsteller. Wir haben alle gedacht, wir machen das nur temporär.

Wie sind Sie eigentlich nach Wien gekommen?

Der Basler Agenturchef hat im Flugzeug Hans Schmid kennengelernt und seine Agentur gekauft. Ich, als Kind, wurde als Creative Director hingeschickt.

Wie haben Sie Wien damals empfunden?

Damals, 1971, hat sich das Wiener Nachleben auf das Hawelka und das Moulin Rouge beschränkt. Das gesellschaftliche Leben spielte sich im Freundeskreis ab. Wir waren gute Freunde mit Coop Himmelblau. Der Wolf Prix hat uns erst kürzlich besucht.

Es herrschen schwere Zeiten in der (Schweizer) Verlagswelt: Nach dem Kursabfall des Euro geht es für die Schweizer Buchverlage an die Substanz. Machen Sie sich als Autor Sorgen?

Nun, mein Markt ist der Euromarkt. Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien. Da ist alles 15 Prozent billiger. Klar, das merkt man ganz direkt. Aber es ist nicht so, dass es mir Sorgen macht und Sparen ist nicht gerade meine Stärke.

Als erfolgreichster Autor der Schweiz müssen Sie sich auch keine Sorgen um Geld machen. Wie haben Sie Ihr Vermögen eigentlich angelegt?

In unseren Häusern.

Viele Ihrer Landsleute fahren jetzt zum Einkaufen nach Österreich. Wenn ich Ihnen angeboren hätte, ein Buch mitzubringen aus Österreich: Was hätte Sie denn interessiert?

Nun, es gibt auch hier österreichische Bücher zu kaufen. Aber wenn Sie mich fragen, was ich lese: Meine momentane Lektüre ist Joseph Roths „Radetzkymarsch“.

Da finden sich ja auch wunderbare Beschreibungen von Mahlzeiten: Nudelsuppe, Tafelspitz. Das passt gut zu Ihren Büchern, wo es immer wieder Essensschilderungen gibt.

Ja, die Wahl des Fleischs für den Tafelspitz, die Herrn von Trotta so wichtig war. Ein schönes Buch. Aber ich muss zugeben, ich lese wenig während dem Schreiben, das verträgt sich nicht gut.

Wie lange arbeiten Sie für gewöhnlich an einem Roman?

Es läuft immer auf ein Jahr hinaus.

Und Sie wissen immer das Ende, bevor Sie beginnen?

Ja, einmal habe ich das nicht so gemacht und es ist danebengegangen.

Sie haben ein Millionenpublikum. Und dann gibt es Kritiker, die behaupten: Suter kann nicht schreiben.

Ja, diesen Verriss aus der Zeit kenne ich. Dieser Kritiker ist aber in der Minderheit.

Dieser Verriss steht übrigens auf der Wikipedia-Seite zu Ihrer Person.

Ja, das Problem war, dass ich einen Roman geschrieben habe namens, „Die Zeit, die Zeit“. Wenn man den sucht, findet man immer auch gleich diese Kritik aus der Zeit.

Sie bezeichnen „Die Zeit, die Zeit“ als Ihr Lieblingsbuch. Es geht darin um zwei Männer, die versuchen, die Zeit zurückzudrehen. Haben Sie selbst nach dem Tod Ihres Sohnes mit diesem Gedanken gespielt?

Nun, das wäre natürlich schön. Aber es geht ihnen nicht darum, die Zeit zurückzudrehen, sondern die Veränderungen rückgängig zu machen. Die Idee dieser Zeitmaschine ist ein altes Thema von mir. Der Zeitpunkt, an dem ich sie nun wieder bearbeitet habe, könnte mit dem Tod meines Sohnes zu tun haben. Aber ich mag es nicht, wenn Schriftsteller ihre Probleme auf dem Rücken der Leser bewältigen.

Geht das Leben wirklich immer weiter?

Bis zum Tod. Aber für mich gibt es schon eine Zeit davor und eine Zeit danach. Ich glaube auch nicht, dass die Zeit die Wunden heilt. Man lernt, damit zu leben.

Lastet der Druck des Bestseller-Produzierens schwer auf Ihnen?

(Lacht) Nein. Ich mache mir selber Druck. Ich will immer ein besseres Buch als das vorherige schreiben.

Erlauben Sie mir bitte zuletzt ein Zitat Ihres Landsmannes Max Frisch: Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie klüger werden oder meinen Sie's noch?

Ich weiß schon lange, dass ich nicht klüger werde. Ich versuche lediglich, nicht mehr die gleichen Fehler zu machen.

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