Martin Suter trickst die Zeit aus

Martin Suter trickst die Zeit aus
Jeden anderen würde man belächeln. Der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter beherrscht sein Handwerk und darf versuchen, die Zeit zurückzudrehen.

Ein Zeitexperiment: Alles muss aussehen wie vor 21 Jahren, am 11. Oktober 1991.

Die Lackschäden an den Fensterläden des Hauses, die Bäume im Garten (man muss jüngere setzen), die Zeitungen im Wohnzimmer, sogar die Autos auf dem Parkplatz gegenüber ...

Ist der deckungsgleiche Zustand hergestellt, hat man die Zeit ausgetrickst.

Vielleicht.

Und dann sind die beiden Männer, die rebellieren, keine Witwer mehr: Ihre toten Frauen sind wieder da.

Hätte nicht Martin Suter "Die Zeit, die Zeit" geschrieben, man müsste einen solchen Roman mit Gummihandschuhen anfassen.

Dem Schweizer Bestsellerautor aber ist – dank einer großartigen Wende gegen Schluss – ein "Hammer" gelungen.

Beschwörung

Martin Suter trickst die Zeit aus

Er ist dafür bekannt, dass er Unterhaltung nahe der Literatur baut (abgesehen von seinen unnötigen Krimis mit dem verarmten Adeligen Allmen).

Seine einfachen Sätze verteidigt er damit, dass er lang an ihnen feilt, damit sie so einfach werden. Der frühere Werbetexter muss sich nicht verteidigen: Von seinen Büchern wurden mehrere Millionen Exemplare verkauft. Leser werden meist gefordert, aber nie überfordert.

Auch wenn er es nicht gern hört: "Die Zeit, die Zeit" ist auch eine private Beschwörung. Suters dreijähriger Adoptivsohn erstickte 2009 beim Frühstück an einem Stück Wurst.

Das "Was wäre, wenn?"-Thema hat ihn zwar immer schon beschäftigt, aber nach dem Unfall musste es unbedingt zum Roman werden.

"Das Leben geht nicht einfach weiter": Oft ist Suter damit zitiert worden. Verdrängen sei möglich, nur verdrängen.

Dem Jüngeren seiner zwei Hauptfiguren ist die Frau erschossen worden, während sie an der Haustür klingelte. Warum hat er nicht rascher geöffnet? Dem über 80-Jährigen, der gegenüber wohnt, ist die Frau während eines Kenia-Urlaubs an Malaria gestorben. Warum sind sie nicht nach Nepal geflogen, wie’s eigentlich geplant war?

Martin Suter sucht übrigens den unbekannten Dichter eines Sinnspruchs, der ihm zum Romantitel verhalf: "Die Zeit, die Zeit, / ihre Reise ist weit, /sie läuft und läuft / in die Ewigkeit."

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