Fern der Heimat und beschallt von Reggeaton und Dancehall schrieb der 38-Jährige im „Rihanna-Land“ Gedichte über die Nacht und das Feiern. Wieder zurück vertonte er sie mit den Produzenten DJ Koze, Siriusmo und The Krauts zum Album „5. Dimension“ – zu zwölf Songperlen, die mühelos den Spagat zwischen Hip-Hop und atmosphärischen Elektro-Indie-Sounds schaffen.
Ein unbeschwertes Party-Album ist „5. Dimension“ trotzdem nicht. Im Gegenteil: „Es geht um Erkenntnisse, die ich gewinnen konnte. Ich hatte in Barbados viel Zeit zum Nachdenken. Außerdem musste ich beim Schreiben an die jungen Leute zwischen 20 und 25 denken, die mir im Lockdown total leid getan haben. Ich dachte, wie arg muss es sein, wenn man in die Welt hinausstarten will, und dann wird einem so ein Prügel in den Weg gelegt.“
Vielleich ist „5. Dimension“ auch deshalb von Melancholie geprägt. In dem nachdenklichsten seiner Alben widmet sich Marteria aber auch dem Tod eines Freundes („DMT“), erinnert sich in „Neonwest“ als gebürtiger Ostdeutscher an seinen ersten Besuch in Westberlin und beschreibt in „6.30 (Good Night)“ wie jemand, der schwer abgestürzt ist, vor einem Club abgeholt wird.
Wer dabei wen abholt, lässt er offen: „Es kann ein Vater sein, der sein Kind holt, oder ich selbst, wie ich mich aus einem Club hole.“ Gleich fügt der 38-Jährige aber hinzu, dass er sich immer auf die Seite der Nachteulen stellt.
„Ich höre immer wieder, wie Leute, die in meinem Alter feiern gehen, dafür verurteilt werden. Das wird als Schwäche gesehen, weil man damit etwas verdrängt. Und ich sage: Nein! Das ist nicht immer so. Denn im Alltag weiß man immer genau, was passiert. Aber die Nacht ist offen und ein Abenteuer. Wenn man sich da hinein stürzen und treiben lassen kann, kann alles passieren. Man weiß nicht: Wo ende ich, mit wem habe ich Sex, finde ich einen Freund fürs Leben? Ich denke, dass vielleicht die, die Leute kritisieren, die in meinem Alter feiern gehen, die Schwachen sind, weil sie es selbst nicht wagen, sich in dieses Abenteuer zu stürzen.“
Die Abenteuer sucht Marteria aber auch außerhalb der Clubs. Er reist gern – am liebsten als Rucksacktourist in Dschungelgebiete oder in Afrikas Steppen, weil er da aufgrund der Gefahren und der deswegen stark erhöhten Wachsamkeit in andere Geisteszustände kommt.
„In Hinblick auf die Umwelt habe ich da natürlich schon einen Gewissenskonflikt“, sagt er. „Aber ich liebe das Fliegen. Man muss das halt anders kompensieren. Ich fahre zum Beispiel innerhalb von Deutschland alles mit der Bahn. Ich finde das Reisen aber auch unfassbar wichtig. Denn wenn man nur in seinen vier Wänden hocken bleibt, wird man zum engstirnigen Eigenbrötler. Ich merke das, wenn ich zum Beispiel deutsche Kids in Afrika treffe. Die sind so cool und weltoffen und verstehen die grundlegenden Dinge, um die es heutzutage geht.“
Ein Weg, seine Reisen zu kompensieren, ist für Marteria sein Modelabel „Green Berlin“, das in aufwendigen Prozessen Kleidung aus Plastikflaschen aus dem Mittelmeer herstellt. Leider ist das nicht so gelaufen wie erhofft.
„Wir dachten, dass Leute aus der Musikszene für ihr Merchandising auf diesen Zug aufspringen werden, was es für alle billiger gemacht hätte. Aber das ist ein so großes Einnahmefeld, dass sie doch lieber ein Drei-Euro-Shirt in Asien bedrucken lassen und die große Gewinnspanne haben. Noch sind die Leute nicht bereit für unsere Idee. Aber das wird kommen. Pionierarbeit wird nicht oft belohnt. Trotzdem steckt da unser Herzblut drinnen.“
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