Wieder 19, wieder am Beginn
Diesen (gelungenen) literarischen Coup muss man erklären. Marlene Streeruwitz war heuer schon auf der Buchseite, mit "Nachkommen". Da war sie sehr, sehr gut. Was will sie jetzt schon wieder?
"Nachkommen" ist (auch) eine Abrechnung mit dem Literaturzirkus, in dem Bücher bloß noch Ware sind.
Die junge Schriftstellerin Nelia Fehn ist im Finale um den Deutschen Buchpreis. Bei ihr würde das Preisgeld Sinn machen: Ihr griechischer Freund muss operiert werden, um wieder halbwegs gehen zu können. Bei einer Demo gegen die EU-Politik in Athen hatte ihm ein Polizeiauto die Beine zertrümmert.
Nelia Fehns Roman gewinnt nicht. Er heißt "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland" – und nun ist er tatsächlich erschienen.
Verfasst – steht auf dem Umschlag – von " Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn".
Plauderton
Deshalb ist der Ton anders. Nicht so druckvoll, nicht hektisch, sondern kindlich fast, unsicher noch – hier schreibt eine 19-Jährige im Plauderton, und das klingt schön – obwohl sie nur langsam in Fahrt kommt. Sie braucht Zeit, um zu erkennen ...
Die 64-jährige Streeruwitz beginnt damit ihre Karriere noch einmal.
Erzählt wird, wie sie – also wie Nelia Fehn – nach Athen zu Freund Marios reist. Es gibt Hindernisse. Wegen eines Kusses, den sie abwehren muss, verpasst sie die Fähre von Kreta. Dementsprechend dauert es drei Viertel des Romans, bis sie am Ziel ist.
Und zu spät kommt: Der Freund liegt schon schwer verletzt in einem Versteck.
Er ist nicht krankenversichert, weil Student. Er wagt sich sowieso nicht ins Spital, denn er würde verhaftet werden, allein deshalb, weil er demonstrieren war.
Nelia Fehn ist sensibel für Ungerechtigkeit geworden. Bitter. An Wunder wird sie nicht mehr glauben können. Aber sich wundern, warum die Polizei Steine auf Demonstranten wirft – weil: Warum erledigen denn das nicht gleich jene Politiker, die Gesetze gegen die Bevölkerung machen?
KURIER-Wertung:
Kommentare