Marlene Dietrichs geheime Schwester

Marlene Dietrich in den 1950ern
Auf den Spuren von Elisabeth Will, die keine Interviews geben durfte.

Das ist die Geschichte von Elisabeth "Liesel" Will, und man muss sehr aufpassen, dass es nicht die Geschichte der Marlene Dietrich wird.

Denn über den singenden Hollywood-Star hat man oft gelesen, und es ist bekannt, mit welchem Mann und welcher Frau sie wo ... wobei ihr Sex angeblich keinen Spaß machte, sie tat’s nur, um zu gefallen bzw. zu trösten. Mit Hemingway hatte sie nie Sex, sie schenkte ihm und seiner Frau ein Doppelbett aus dem Ritz, es war voller Wanzen, das konnte sie nicht wissen, und schon haben wir den Salat: Bei der Dietrich kann man gar nicht aufhören zu schwätzen.

Aber Liesel Will?

Sie war Marlenes Schwester, um knapp zwei Jahre älter.

Klein war sie, mollig, eine graue Maus, ein "Tugendmoppel", eine Brave, Introvertierte. Es gibt nur wenige Fotos von ihr, behütet von der Deutschen Kinemathek in Berlin, die den Nachlass der Diva für fünf Millionen Dollar ersteigert hatte

Marlene Dietrich untersagte ihr, sich fotografieren zu lassen. Interviews durfte sie keine geben. Wollte sie aber ohnehin nicht. Mutter hatte ihr stets eingetrichtert, sie habe von nichts eine Ahnung. (Im Gegensatz zu Marlene.)

Öffentlich wurde Liesel verleugnet.

Aber heimlich geliebt von Marlene Dietrich: "Du Süße ..." Geliebt und großzügig beschenkt.

Bergen-Belsen

Warum das so war, verrät der deutsche Journalist und Autor Heinrich Thies im Buch "Fesche Lola, brave Liesl".

Weil dafür allerdings wenige Seiten reichen, denn gar so viele Fakten lassen sich über die "brave Liesel" nicht zusammentragen, musste Thies eine Doppelbiografie schreiben,also viel über Marlene Dietrich. Außerdem bewegt er sich hart an der Grenze zum Roman.

Egal jetzt: Als Marlene Dietrich im Mai 1945 in US-Uniform nach Deutschland geflogen kam, suchte sie sofort nach ihrer Schwester. Sie vermutete Liesel im KZ – eine Gefangenschaft aus Rache, denn die "Vaterlandsverräterin" hatte Goebbels’ und Hitlers Lockrufen widerstanden und war amerikanische Staatsbürgerin geworden.

Aber Liesel war nicht in einem KZ, sondern neben dem KZ Bergen-Belsen: Ihr großkotzerter Ehemann Georg Will war schnell Parteimitglied geworden und hatte auf dem Truppenübungsplatz ein großes Kino geleitet. Zarah Leander als Ersatz für Marlene. Ein Kino für die SS. Liesel Will wohnte mit Mann und Sohn neben den Baracken von Bergen-Belsen, dieser Vorhölle auf dem Weg in die Vernichtungslager. 50.000 Menschen kamen in Bergen-Belsen ums Leben. Der Abtransport der Leichen in rasch ausgehobene Massengräber war schwer zu übersehen gewesen.

Jahre später machte Liesel bei einem Abendessen den Mund auf: "War eh nicht so schlimm."

Marlene Dietrich maßregelte sie schreiend.

Liebe Pussycat

Liesel war einsam gewesen. Nie wäre sie nach Niedersachsen übersiedelt. Sie war Berlinerin, sie war Lehrerin. Eine gebildete, eine belesene, manchmal etwas hilflose Frau.

Nach der Heirat ließ Georg Will sie nicht mehr arbeiten. Lichtblick war ihr Sohn. Auf dem Truppenübungsplatz verabschiedete sich der Bub von ihr, er meldete sich zur Waffen-SS.

Nach dem Krieg wurde die Einsamkeit so groß, dass sie stationäre psychiatrische Hilfe brauchte. Der Ehemann ließ sie sitzen, der Sohn heiratete. Liesel Will blieb allein in Bergen (wo Adolf Eichmann unerkannt im Nachbarort wohnte und Hühnereier verkaufte).

Marlene Dietrich war in ständigem Kontakt mit ihrer Schwester. In Brief- und Telefonkontakt freilich. "Du Süße" – "Liebe Pussycat". Am Reichtum durfte sie immer teilhaben. Aber Liesel brauchte wenig. Einen Tauchsieder vielleicht ...

Bei einem Brand in ihrer Wohnung starb Elisabeth Will 1973. Der überhitzte Tauchsieder lag auf einer Plastikdecke.

Die Dietrich starb 1992. Im Dokumentarfilm, den Maximilian Schell 1984 gedreht hatte, antwortete die damals 83-jährige auf die Frage, ob sie eine Schwester gehabt habe:

"Nein."

Heinrich Thies:
„Fesche Lola,
brave Liesel“
Verlag Hoffmann
und Campe.
416 Seiten.
24,70 Euro.

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