Markovics' "Atmen": Beeindruckend stilsicher

Markovics' "Atmen": Beeindruckend stilsicher
Karl Markovics macht in seinem gefeierten Regiedebüt "Atmen" alles richtig. Er setzt kaltem Realismus-Kino Wärme entgegen.

Man könnte sie für tot halten; für echt tot, wie sie daliegen, gewaschen werden und angezogen. Wie sie aus einem Kühl-Container geholt und umgebettet werden, und wie man dabei Schamhaare durch den trüben Plastiksack erahnt.
Ja, selten haben Lebende so überzeugend Tote gespielt wie hier, in "Atmen", dem Regiedebüt des Schauspielers Karl Markovics, der ab Freitag im Kino anläuft. Markovics rückt darin ein selten gezeigtes, sehr Wienerisches Milieu sorgfältig in den Mittelpunkt seines ersten Spielfilms:
Die scheene Leich und ihre Bestattung.
Und das tut er beeindruckend still, schlicht und äußerst stilsicher.

Die richtige Leiche im richtigen Sarg

"Die richtige Leiche im richtigen Sarg zur richtigen Zeit am richtigen Ort", beschreibt einer der alteingesessenen Leichenbestatter die Arbeit. Er wird es dem 19-jährigen Roman (Thomas Schubert in seiner ersten Rolle), einem Freigänger aus dem Jugendgefängnis, nicht gerade leicht machen. Georg Friedrich spielt einen (unter vielen hervorragenden Bestattern) und er bindet dem jungen Mann nicht einmal die Krawatte, als der ihn darum bittet.
Roman fällt es schwer zu sprechen. Noch schwerer, sein Gegenüber anzusehen. Und wenn ihm an Anfang, in der Schlosserei, der Meister ohne Vorwarnung eine Schweißermaske übers Gesicht zieht, dann ist es für ihn am allerschwersten.
Dann brüllt er.

Bei der Bestattung geht es dem jungen Roman dann besser: Tote müssen abgeholt und transportiert werden; Särge gewaschen; Handgriffe erlernt, mit denen man eine Leiche aufhebt. Es sind diese Rituale und ihre Genauigkeit, die an diesem Film so überzeugen: wie Körperöffnungen im Gefängnis kontrolliert werden; wie das alte Saftpackerl dazu dient, in der Zelle Tee zu machen; und wie eine Tote in ihrem Bett schließlich gewaschen und angezogen wird, gehört zu zärtlichsten und ergreifendsten Szenen.

Karl Markovics hält der Kälte des österreichischen Realismus-Kinos erstaunliche Wärme entgegen: die Hoffnung, dass man sein Leben in die Hand nehmen und es verändern kann.

Herrlich kahl

Markovics' "Atmen": Beeindruckend stilsicher

Man fühlt sich daher wohl in der Tristesse, die erzählt wird; in den herrlich kahlen, monochromen Bildern von Kameramann Martin Gschlacht; Bilder voll gelber Fliesen in der Bahn-Station; voll blauem Chlorwasser; voll grauer Gefängnismauern. Immer wieder erzählt sich die Geschichte auch in Symbolen: ein Pullover, den Roman sich nicht und nicht über den Kopf ziehen kann; eine Fieberblase auf den Lippen der Mutter; ein Vogel, der sich in die Sargwasch-Anlage verirrt hat, dort wie eine unerlöste Seele herumflattert und von Roman ins Freie entlassen wird. Auch seine Geschichte ist die einer schrittweisen Befreiung. Befreiung aus dem Gefängnis; Befreiung aus der Schuld, einen Menschen umgebracht zu haben; Befreiung von seiner Vergangenheit mit einer Mutter, die überfordert war.

Irgendwann weiß Roman dann, warum er tötet, wenn man ihm die Luft nimmt, warum ihn ein Pulli, den er nicht über den Kopf ziehen kann, zur Raserei bringt, eine Schweißermaske vorm Gesicht zum Brüllen.
Roman ist dann frei. Er hat gelernt zu atmen.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Preisregen: Österreichs Film für den Oscar

Karl Markovics' Film "Atmen" ist seit seiner Uraufführung in der renommierten Reihe "Quinzaine des Realisateurs" in Cannes (wo auch Michael Haneke einst seine Karriere begonnen hatte) eine einzige Erfolgsgeschichte: Dem Preis "Label Europa Cinema", verbunden mit einer Förderung für einen europaweiten Kinostart, folgte der Hauptpreis beim Filmfestival von Sarajewo; übergeben von keiner Geringeren als Angelina Jolie. Auch in Ungarn räumte er ab. Seit einem Monat steht er als Österreichs Abgesandter für den Oscar fest.

Siehe im roten Link unten die Bilder der KURIER-Premiere von "Atmen".

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Interview

  • Hintergrund

Kommentare