Das Ende der Menschheit ist nah
Eigenartig war sie, diese Menschheit.
Mit Betonung auf "war".
Denn die kanadische Kultautorin Margaret Atwood hat sie ausgelöscht, in einer gewaltigen Flut aus entfesseltem Fortschritt, entstellter Religion und endabgefertigter Moral.
Es ist ein zugleich unwürdiges und grandioses Ende, das die Menschheit in den bereits erschienenen Büchern der Trilogie, "Oryx und Crake" und "Das Jahr der Flut", ereilt hat: Denn eigentlich hatten die Menschen gerade alles geschafft, wovon sie immer geträumt hatten.
Krankheiten sind nur noch dazu da, damit Pharmafirmen mit ihnen Geld verdienen. Sterben ist nur etwas für Arme (zumindest das Sterben aus natürlichen Gründen. Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung). Und just als der Mensch sich die biotechnologischen Möglichkeiten geschaffen hat, sich gänzlich neu zu erfinden, ist es aus mit uns. Apokalypse jetzt.
Schöne neue Welt
Übrig nach der großen Virusflut bleiben versprengte Grüppchen an Überlebenden. Und der Prototyp des neuen Menschen: Superschöne, nackte, vegetarische Paradieswesen, frei von Eifersucht und Krankheit.
Die Ausläufer dieser kompromisslosen Science-Fiction-Sintflut beschreibt Atwood nun im finalen Teil der Trilogie: "Die Geschichte von Zeb" (deutsch von Monika Schmalz, ab Mittwoch im Handel ) ist der Epilog, der Nachhall, der ein letztes Mal neu beleuchtet, warum die Menschheit untergehen musste. Das ist, zum Glück, nicht nur tragisch: Man merkt Atwood an, dass ihr diese Apokalypse auch Freude gemacht hat.
Denn die Welt, auf die die bereits aus der Serie bekannten Zeb und Toby im Buch Rückschau halten, ist Perversion und gleichzeitig Satire all dessen, was derzeit in der Realität geschieht. Das ist auch das nachhaltig Verstörende: Vieles, was Atwoods gar nicht so fiktive Welt über den Rand des Abgrundes hinausgeschickt hat, nimmt derzeit seinen Ursprung. Es sind die Dämonen unserer Zeit, bis ins Extrem gedacht:
Die zunehmende Abschottung der Wohlhabenden von den immer ärmeren Armen. Dauerüberwachung. Gentechnologisch zusammengebaute Wunschkinder. Die Übernahme von staatlichen Aufgaben durch private Unternehmen (etwa: Polizei und Militär).
Schönheitswahn und tierische Ersatzteillager (Resultat: Schafe, denen Menschenhaar wächst. In allen Farben. Und Schweine mit menschlichen Gehirnzellen).
Aufgeregte Diskussionen über Retortenmedizin und aus dieser angeblich resultierende "Halbwesen" liegen hier weit, weit zurück.
Atwood dockt ihre Rückschau auf das Humane dort an, wo die echte Welt gerade steht, und auf Twitter schicken ihr Fans aktuelle Zeitungsartikel, die das untermauern: Die Welt wird immer Atwood-hafter, und allein deshalb sollte man die Trilogie unbedingt lesen.
Auch wenn man sich sonst nicht für Science Fiction interessiert. Denn Atwood hat, wie alle großen Autoren des Genres, die Menschheit an sich und nicht nur deren Zukunft im Blick. "Die Geschichte von Zeb" ist auch liebevoller Abgesang auf das, was den Menschen in seiner Unperfektheit ausmacht:
Auf die Eifersucht, die die Liebe erst zur Liebe macht. Auf den Drang des Menschen, die Welt in Erzählungen zu verpacken. Seien es religiös verbrämte wie bei der gewinnträchtigen Erdöl-Religion, die Zebs Vater gründet. Oder höchst private Erzählungen, wie diejenige, mit der Zeb Toby darlegt, wer er ist und wie er so wurde.
Atwood erzählt die letzte Liebesgeschichte der Menschheit, und sie erzählt auch, woran es dem "perfekten" Menschen mangelt: am Mangel. Und ja, auch an den Abgründen, die zum Untergang führen können.
INFO: Margaret Atwood: „Die Geschichte von Zeb“, Deutsch von Monika Schmalz. Berlin Verlag. 480 Seiten, 22,99 Euro.
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