Aber ja, der Titel liegt schon auch an den Inhalten dieser 12 Songs, von denen Wanda vier schon während der Pandemie-Monate vorab veröffentlicht haben: „Es gibt für mich kein Wort, das die Lieder zusammenfasst“, sagt Marco. „Alle Texte sind der Versuch eines philosophischen Zugangs zum Leben, behandeln die Fragestellung nach der eigenen Endlichkeit und dem, was wirklich zählt. Die Beschäftigung mit sich selbst steht im Vordergrund.“
Das ist der persönlichen Entwicklung geschuldet, die Marco in den zur Ruhe zwingenden Pandemie-Jahren durchmachte. „Ich habe davor permanent so gelebt, als wäre es morgen vorbei. Denn das ist das Versprechen so einer Karriere: Du erlebst einen Hype und dann stürzt du ab. Bei jedem Album dachte ich, jetzt haben uns die Leute satt. Aber sie halten uns die Treue. Das habe ich jetzt dankbar zur Kenntnis genommen und mich beruhigt. Ich habe viel weniger Existenzängste als früher.“
Mit den Ängsten einherging, dass der Sänger nicht mehr auf sein Bedürfnis nach Ruhe geachtet hat: „Ich habe mich selbst vernachlässigt, sehr viel für meinen Hedonismus und viel für meinen Beruf getan. Das hat sich beim Aufnehmen dieser Platte aber geändert. Dabei hat auch geholfen, dass wir bei den Aufnahmen keinen Stress hatten, und nur ins Studio gegangen sind, wenn wir Lust hatten. “
Mit Hedonismus meint Marco nicht – wie man denken könnte – alkoholgetränkte Aftershow-Partys, betont er schnell: „Ich bin kein Freddie Mercury. Ich habe mich nie im Übermaß ins Partyleben geschmissen. Wenn ich mich ruiniert habe, habe ich das mit flaschenweise Wein alleine in meinem Zimmer gemacht – aber selten. Meine Exzesse waren nicht schillernd, dramatisch und cineastisch wie die von Freddie. Der hat von seinem Raubbau wenigstens etwas gehabt. Ich habe das Gefühl, von meinem hatte ich gar nichts.“
Der Auslöser für das Umdenken und „Reparieren“ des eigenen Lebens, aber auch des Band-Lebens kam mit dem Ausstieg von Drummer Lukas Hasitschka. „Wenn einer am Höhepunkt die Band verlässt, wirft das die Frage auf: Was läuft falsch?“
Was lief falsch? „Wir haben uns nicht mehr sonderlich dafür interessiert, wie es den anderen in der Band mit unserem Tun ging. Aber das haben wir in einem langen Prozess mit vielen Dialogen herausgefunden und bereinigt.“
Deshalb blickt Marco jetzt, wo in Fanforen das 10-jährige Bestehen von Wanda gefeiert wird, lieber schon auf die nächsten zehn Jahre. „Ich würde gerne wie bei ,Ein letztes Wienerlied’’ auf dem ,Niente’-Album noch mehr Textmaterial von jüdischen Dichtern der Nachkriegszeit vertonen. Das suche ich gerade. Es ist nicht einfach zu finden, liegt in irgendwelchen Archiven herum, ist aber brillant. Es verschlägt einem die Sprache, wenn man liest, was diese Dichter, die größtenteils nach New York emigriert sind, geschrieben haben.“
Außerdem kann Marco sich gar nicht mehr an den genauen Gründungstag im Jahr 2012 erinnern. Nur daran, wie Wanda am Schwedenplatz selbstgepresste CDs von ihren ersten Songs verteilt haben. „Das hat offenbar gefruchtet. Denn beim ersten Konzert im Werk X, haben alle die Texte mitgesungen – in einer Zeit, in der sich das noch nicht über das Internet verbreitet hat.“
Was ihm immer in Erinnerung bleibt, sind berührende Begegnungen mit Fans: „Wenn mir jemand erzählt, er wollte sich das Leben nehmen und unsere Musik hat ihm über diese Phase hinweggeholfen. Oder neulich: Da habe ich mit einem Taxifahrer Fotos für seinen autistischen Sohn gemacht. Danach sind wir uns in den Armen gelegen und haben fast geweint.“
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