Magrittes Welt voller Widersprüche

Magrittes Welt voller Widersprüche
Das Werk von René Magritte, ab 9. November in der Albertina zu sehen, ist in der Heimat des Künstlers ebenso populär wie umkämpft.

Eigentlich, erklärt die Reiseführerin mit dem Melonenhut am Kopf, sei Brüssel ja die Hauptstadt des Surrealismus. Nicht nur, dass der Maler René Magritte hier lebte und sein Pariser Kollege André Breton hier viel Zeit verbrachte - auch die Stadt selbst, sagt sie, biete immer wieder "surreale" Erlebnisse.

Die Journalisten, die von der Wiener Albertina aus Anlass der großen Magritte-Retrospektive (ab 9. 11.) in die belgische Hauptstadt geladen wurden, werden noch rätseln, was die Dame wohl damit meint. Tatsächlich steckt die Stadt voller disparater Elemente: das Stadtbild wechselt rasant zwischen beschaulichen Backsteinbauten und schroffen Bürotürmen, die Sprachen zwischen Französisch, Flämisch und dem Stimmengewirr der vielen Touristen und EU-Mitarbeiter. Es ist nicht unlogisch, sich von hier eine Verbindung zu den Motivkonstellationen in den Werken des Malers zu denken: Eine Eisenbahn, die aus einem Kaminsims rast, eine nächtlich finstere Straße unter einem taghellen Himmel, eine Pfeife, die vorgibt, keine zu sein - diese Ideen kamen René Magritte in Brüssel, jener Stadt, in der er ein Leben lang verwurzelt blieb.

Magritte, der die Melone in zahlreichen Bildern zu einem Markenzeichen machte, bringt die Belgier unter einen Hut: Flamen und Wallonen finden in ihm ein kulturelles und touristisches Zugpferd, an die 500.000 Besucher zählt das 2009 im Stadtzentrum eröffnete "Musée Magritte" pro Jahr. "Ob Eskimos, Belgier, Leute aus Bahrain oder aus China - alle können auf ihre Art mit den Bildern etwas anfangen", sagt Frederik Leen, verantwortlicher Kustode am Museum, das rund 200 Werke des berühmten Belgiers zeigt.

Zwist

Magrittes Welt voller Widersprüche

Unter den Brüsseler Institutionen, die sich dem Werk des 1967 verstorbenen Surrealisten verschrieben haben, herrscht allerdings keineswegs Eintracht: Vielmehr tobt ein Kampf, der an die Zwistigkeiten zwischen "Judäischer Volksfront" und der "Volksfront von Judäa" im Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" erinnert.

Zehn Jahre vor dem staatlichen "Musée Magritte" hatte nämlich der Sammler und Surrealismus-Enthusiast André Garitte das private "René Magritte Museum" im einstigen Wohnhaus des Malers an der Brüsseler Peripherie eröffnet: Liebevoll rekonstruierte er die bescheidene Wohnung, in der Magritte von 1930 bis 1954 gelebt und einige seiner wichtigsten Werke geschaffen hatte.

Für die typischen Fensterausblicke und Innenräume, die in den Bildern durch allerhand Seltsamkeiten ins Wanken geraten, lassen sich hier die Vorlagen finden. In Vitrinen liegen dazu Dokumente aus dem einstigen Besitz von Magrittes Surrealisten-Freunden, die Garitte in den 1980ern noch persönlich kennenlernte.

Kein Museum

Für Charly Herscovici ist das kleine Haus dennoch nicht wert, "Museum" genannt zu werden. Herscovici wurde von Magrittes kinderloser Witwe Georgette 1986 als Erbe eingesetzt. Heute führt er als Vorsitzender der "Magritte Foundation" ein strenges Regiment: Ohne ihn und sein Netzwerk von Privatsammlern, die nach wie vor den Großteil der Magritte-Arbeiten besitzen, kommt keine große Schau aus.

"Wenn ich einer Ausstellung nicht zustimme, verweigere ich die Bildrechte für den Katalog", erklärt der lockige, mit zwei Smartphones bewaffnete Herr mit Stecktuch beim Mittagessen im "Goudbloummeke", einem alten Treffpunkt der Brüsseler Surrealisten. Mit Garitte hat sich Herscovici im Namensstreit für das Magritte-Museum überworfen. Garittes Haus muss ohne Unterstützung von Herscovicis Stiftung auskommen - das große, staatliche Museum hält indes 59 Werke aus der privaten Sammlung des Erben. Nur im Museumsshop merkt man dessen zurückhaltende Lizenz-Politik: Eine Keksdose und ein Kaffeetablett mit dem Aufdruck "Das ist keine Pfeife" sind hier die extravagantesten Merchandising-Produkte.

Echt surrealistisch

Wie beide Museen zeigen, standen Zwistigkeiten jedoch schon zu Magrittes Lebzeiten an der Tagesordnung. Legendär ist die Episode vom 14. Dezember 1929, als der Pariser Surrealisten-Papst André Breton Magrittes Frau aufforderte, ihre Kruzifix-Halskette abzulegen. Ein Streit war die Folge, Magritte verließ aufgebracht Bretons Wohnung, die Beziehung zu seinen Pariser Kollegen lag darauf für zwei Jahre auf Eis.

"Für Breton war Magritte zu angepasst", bekräftigt Gisela Fischer, Kuratorin der Albertina-Schau. Wie heute im Kampf ums "wahre" Museum stritt man sich damals um den "wahren" Surrealismus: Welche Rolle das Unbewusste in dieser Kunstrichtung spielen sollte, inwiefern man sich mit der Politik, hier insbesondere mit dem Kommunismus, einlassen sollte - diese Fragen spalteten die Lager gleich mehrfach.

In dem musealisierten Brüsseler Haus, in das Magritte kurz nach seinem großen Krach mit Breton einzog, lässt sich die überraschende Normalität des Malers, der gern am Vormittag malte und am Nachmittag Schach spielte, bis heute nachvollziehen. Im Hinterhof des Hauses setzten die Magrittes sich und ihren Freunden allerdings des öfteren Masken auf, sie spielten Karneval und nannten sich "Die Außerirdischen". Die Bilder, die von diesen Treffen erhalten blieben, illustrieren heute eine Maxime , die auch auf Magrittes Gemälde zutrifft: Nichts ist so, wie es scheint - in Brüssel und anderswo.

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