"Lulu" in Graz: Ein Rudel notgeiler Hyänen

Das Opfer der Männer: Julia Franz Richter als Lulu
Kritik: „Lulu – Eine Mörderballade“ von den Tiger Lillies – fulminant umgesetzt am Grazer Schauspielhaus

Die Geschichte der Lulu, von Frank Wedekind erzählt, ist natürlich ein Fressen für einen Moritatensänger wie Martyn Jaques, den Kopf der britischen „Tiger Lillies“. Denn „das wilde, schöne Tier“, vom reichen Verleger Schön aus der Gosse geholt, verdreht allen Männern den Kopf – und stürzt sie der Reihe nach ins Unglück.

Den Medizinalrat Dr. Goll zum Beispiel trifft der Schlag, als er Lulu mit dem Maler Schwarz erwischt; von Schön über das zügellose Leben der Muse in Kenntnis gesetzt, bringt sich dieser mit einer Rasierklinge um. Der sexuell hörige Verleger heiratet nun doch das Objekt seiner Begierde. Weil Lulu ihn permanent betrügt, auch mit seinem Sohn Alwa, will er seine Frau zum Selbstmord zwingen. Pech für ihn. Denn Lulu weiß sich zu wehren. Nach Gefängnis, Befreiung, Flucht und einem zügellosen Leben in Paris beginnt der lustvoll ausgekostete Abstieg: Als Straßendirne in London wird sie schließlich von Jack the Ripper abgeschlachtet.

Drastische Verhältnisse

Aus diesem Stoff hat Martyn Jaques einen rüden Liederzyklus geschrieben. Für Zwischentöne ist in dieser „Murder Ballad“ kein Platz: Vieles wurde eliminiert, darunter die Gräfin Geschwitz, mit der Lulu ein Verhältnis hat. Zudem macht Jaques aus Lulus angeblichem Vater, dem Ganoven Schigolch, einen zynischen Zuhälter.

Als „Musical“, konzentriert auf die Songs, gelangte „Lulu – Eine Mörderballade“ nun am Grazer Schauspielhaus zur fulminanten österreichischen Erstaufführung. Erstens, weil Sandy Lopicic als musikalischer Leiter mit seiner Band für den typischen Sound der Tiger Lillies sorgt, basierend auf Klavier, Akkordeon und Schlagzeug; einzig die singende Säge, die sich wehmütig durch viele Lieder der Tiger Lillies zieht, fehlt.

Hechel, hechel

Mit stoischem Gesichtsausdruck, als ginge sie das ganze Geschehen nichts an, spielen die fünf Musiker ihre Noten. Und doch werden sie immer wieder zu Akteuren. Denn in der äußerst pointierten Regie von Markus Bothe mit viel Pantomime und drastischem Witz schnüffelt, hechelt ein ganzes Rudel notgeiler Hyänen („Tits! Tits!“) dem blutjungen Ding hinterdrein, das nicht recht weiß, wie ihm geschieht: Die Lulu der Julia Franz Richter spielt doch nur, sie turnt, tanzt, tänzelt. Als Opfer irrlichtert sie stumm durch die Welt der Männer.

Lulus Puppenhaus, vier von Alexandre Corazzola exakt gleich möblierte Zimmer, steht im Riesenformat auf der Drehbühne: Die Gesetze der Schwerkraft sind außer Kraft gesetzt, die Dimensionen durcheinandergeraten – wie bei „Alice im Wunderland“. Unten rechts kauert Rudi Widerhofer, ein Meister grotesken Minenspiels, als Fettsack Goll in einem Stahlrohrbett. Daneben, in der Kammer des Shunning (Dr. Schön), steht die Welt im wahrsten Sinne Kopf. Das Zimmer des Sohns Alwa ist hochkant geklappt – und jenes von Schwartz um 90 Grad gedreht.

In karikaturhaften Kostümen von Justina Klimczyk machen sich die Männer (Clemens Maria Riegler, Andri Schenardi, Mathias Lodd) zum Affen. Über all dem wacht Jörg Thieme, stimmlich sehr stark, als diabolischer Conférencier und „Vater“. Erst ganz zum Schluss darf Lulu, die geschundene Kreatur in High Heels, mit dem Song „My Heart Belongs to Daddy“ von Cole Porter berühren. Eifrig bejubelte 80 Minuten.

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