Lize Spit: Was will sie mit dem Eisblock im Kofferraum?

Lize Spit
Der Hit aus Belgien: Man braucht Geduld, bis das Rätsel um Eva gelöst wird.

Bis es darauf Antwort gibt, wird viel gepinkelt, auch in Briefkästen, es werden Hamburger gegrillt, eine Schildkröte wird vergraben usw.

Es wäre bestimmt nicht schwierig gewesen, aus "Und es schmilzt" eine Kurzgeschichte zu machen.

Sie wäre nicht gut geworden. Die 500 Seiten sind in diesem Fall das Wahre. Der Weg bis zur Auflösung ist ein langer, doch niemals ist er holprig, und vieles bekommt man da zu sehen.

Eine andere interessante Frage ist: Weshalb wurden von Lize Spits Debütroman in ihrer Heimat Belgien nicht, wie sonst bei Büchern üblich im Land, 2000 Exemplare verkauft?

Sondern 100.000?

Schatten

Es hat – man hofft es halt – nichts damit zu tun, dass er von einer jungen, jetzt 28-jährigen Frau geschrieben wurde und es um Sex geht. Um jungen Sex mit Gewalt.

Vielleicht ist es aber vor allem die Neugier auf den langsam schmelzenden Eisblock auf seiner Reise in einen Kuhstall ...

Während Eva nach 13 Jahren Abwesenheit mit dem kalten Trumm im Auto in ihr belgisches Heimatdorf fährt, wird immer wieder in die Jahre 2001, 2002 zurückgeblickt. Eva war damals etwa 14. (Jetzt geht sie auf die 30 zu.)

Die Kindheit wird ausgebreitet. Die Schatten über ihr werden länger und länger.

Evas kleine Schwester redete mit der Türschnalle, und die Matratze in ihrem Bettchen betrachtete sie jede Nacht als wildes Tier, das sie vor dem Schlafen erst zähmen musste.

Die alkoholkranken Eltern werden so beschrieben: Wie abgerissene Häuser sind sie, von denen nur ein paar Ziegel stehen geblieben sind.

Demütigung

Eva gehörte "zu den Jungs", zu Pim und dem dicken Laurens. Diesen besten Freunden half sie, Mädchen nackt zu sehen: Sie erfand kaum lösbare Rätsel und war die Schiedsrichterin – den "Kandidatinnen" wurde Geld versprochen bzw. mussten sie sich ausziehen und berühren lassen.

Hässliche Sache. Warum machte Eva bei den Demütigungen mit? Könnte letztlich mit dem Eisblock zusammenhängen ...

Der Roman wird finsterer und finsterer, aber erst ab Seite 350 marschiert er geradeaus in den Abgrund. So etwas muss gut vorbereitet werden. Lize Spit hat ein Präzisionswerk abgeliefert.

Rasch wird noch verraten, was eine Pudelvase ist: Nichts Schönes, sondern "die misslungene Abart einer Vase so wie der Pudel eine Abart des Hundes ist."

Aber dann ist ein toter Bub in der Jauchegrube das Mindeste, das auf- und durchrüttelt. Man wird feststellen müssen, dass Erinnerungen – vor allem schlimme – keine Zersetzungszeit haben, und deshalb gönnt man sich vielleicht ein Eis, ein großes.


Lize Spit:
„Und es schmilzt“
Übersetzt von Helga van
Beuningen.
Verlag S. Fischer.
507 Seiten. 22,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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