Literaturnobelpreis 2017 geht an Ishiguro

Kazuo Ishiguro
Nachfolge von Bob Dylan - Bekannt u.a. dank "Was vom Tage übrig blieb"

Der Literaturnobelpreis 2017 geht an Kazuo Ishiguro. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag bekannt. Ishiguro ist u.a. mit seinem verfilmten Roman „Was vom Tage übrig blieb“ weltbekannt geworden.

KURIER-Literaturchef Peter Pisa:

Haruki Murakami, bei den Buchmachern ganz vorne, hat den Nobelpreis zwar wieder nicht bekommen.
(Was sehr in Ordnung ist.)
Aber immerhin weiß man vom heurigen Sieger Kazuo Ishiguro, dass er die Bücher Murakamis mag ... bzw. habe er erst wegen Murakami mit der japanischen Literatur etwas anfangen können.
Tschechow, Tolstoi, Dostojewski sind dem Preisträger allerdings schon lieber.
Alle fünf JahreKazuo Ishiguro wird im November 63 Jahre alt.
Geboren in Nagasaki, als Fünfjähriger mit seinen Eltern – Vater Ozeanograf – und Schwestern nach London gekommen, britischer Staatsbürger, studierter Philosoph und Anglist, Sänger und Pianist in Pubs, Sozialarbeiter in Schottland ...
Etwa alle fünf Jahre erscheint ein Roman von ihm. Er lässt sich Zeit.
Eine Schlagzeile lieferte er, als er meldete, er müsse „The Buried Giant“ (= Der begrabene Riese, 2015) noch einmal zu schreiben anfangen.
Weil seine Frau mit dem Manuskript überhaupt nicht zufrieden sei.
Zu kompliziert sei seine Sprache ausgefallen ...
Ishiguro brauchte für den „begrabenen Riesen“ – Blessing Verlag, 23,70 Euro – schließlich zehn Jahre. Vom Schauplatz England, sechstes Jahrhundert, Ritter, Drachen, spazierte er problemlos in die Gegenwart, bis zu Margaret Thatcher.
Sein bekanntestes Buch ist „Was vom Tag übrig blieb“ (1989). Dafür bekam Ishiguro den angesehenen Booker Prize, und verfilmt wurde diese Charakterstudie mit Anthony Hopkins als Butler, der sich liebend gern in ein psychisches Gefängnis begibt – in die Dienste eines Lords.
Der Butler ist die personifizierte Pflichterfüllung, seine Loyalität erlaubte es nicht, dass er nach links und nach rechts (und genauer auf seinen Chef)schaute.
Schwer auszuhaltenEs sind freilich die Verfilmungen, die Kazuo Ishiguros Werk so bekannt machten.
„Alles, was wir geben mussten“ (2005) kam ebenfalls ins Kino, mit Keira Knightley. Diesmal war das Gefängnis eine Zuchtanstalt – eine Schule mit Kindern, die nur deshalb in die Welt gesetzt wurden, um später Organe zu spenden. Wie soll man den Kleinen erklären, warum es sie gibt?
Eine Wucht, schwer auszuhalten, auch auf der Leinwand.
Die Stockholmer Auszeichnung – dotiert mit umgerechnet 940.000 Euro – war, bei aller Wertschätzung, trotzdem eine große Überraschung. An Ishiguro dachte, mit Verlaub, niemand.
An Margaret Atwood dachte man, an Claudio Magris, Amos Oz, an den Kenianer Ngugi wa Thiong’o vielleicht, an Philip Roth sowieso immer (jessas, im März ist der Amerikaner, der leider gar nichts mehr schreibt, 84 geworden) ...
Wohl deshalb war die Freude über Kazuo Ishiguro zunächst nicht so laut, und die Auskenner, die sich sonst jedes Jahr schnell mit Urteilen zu Wort melden, warteten ab. Verdient ist die Auszeichnung auf jeden Fall.
Ishiguro war Donnerstag erst nach öffentlicher Bekanntgabe für die Schwedische Akademie telefonisch erreichbar.
Später bedankte er sich für die „großartige Ehre – vor allem, weil es bedeutet, dass ich in die Fußstapfen der größten Autoren trete,
die je gelebt haben.“
Jury-Vorsitzende Sara Danius hatte den neuen Nobelpreisträger „eine Kreuzung aus Jane Austen und Franz Kafka“ genannt.
Kafka hat den Preis nicht bekommen. Jane Austen (gestorben 1817) hat den Preis nicht bekommen können.

KURIER-Kulturchef Georg Leyrer:

Es ist alles zu viel, zu viele Bücher, zu viele Meinungen, zu viele Ärgernisse und Momente. Außer bei Kazuo Ishiguro. Bei ihm, und das ist das Versprechen, die Faszination, auch das Belastende seiner Bücher, fehlt immer etwas, und zwar das Wichtigste. Das Wissen um Liebe etwa, in „Was vom Tage übrig blieb“. Das Wissen, was man ist, in „Alles was wir geben mussten“. All das Unheil der Vergangenheit in „Der begrabene Riese“. Diese gewaltigen Fehlstellen sind fast greifbar, fast da, so nah, dass es einen narrisch macht, sie sind Zentrum der Bücher, das Entscheidende im Leben jener Menschen, die er beschreibt. Und Ishiguro lässt sie trotzdem an diesem letzten Millimeter scheitern, lässt sie in den Untergang gehen, ihr Leben versäumen, so rettbar verloren, dass es einem das Herz zerreißt.
Wer sich, vom Nobelpreis motiviert, etwa „Alles was wir geben mussten“ kaufen will, sei vehement bestärkt – und gewarnt: Nichts vorher lesen darüber (schon gar nicht den Film anschauen), ahnungslos hineingehen. Aber dann Vorsicht: Hilfloser war der Leser nie.

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