Die Kunstfigur Le Gateau hält der Brite, der seine Kindheit in Nigeria, der Heimat seiner Familie, verbrachte, vom Privatmann strikt getrennt. Deshalb will er auch seinen wirklichen Namen nicht in den Zeitungen lesen. Dass einige aus dem Premierenpublikum auf seine Bayreuther Performance mit Buhrufen reagierten, nannte er in den sozialen Medien „eine erbärmliche Schande“. Die Sympathien aber wandten sich ihm bei den nächsten Vorstellungen zu. Man geht Le Gateau schauen. Denn er spielt nicht nur im Festspielhaus. In der Pause der „Tannhäuser“-Vorstellungen hat er seine eigene Show am Teich im Park auf dem Grünen Hügel. Dort gesellt er sich zu einem aufblasbaren Einhorn und singt mit sonorer Baritonstimme seine Lieder. Hunderte kommen, auch von auswärts, denn der Zugang zum Park ist frei, um ihn zu sehen.
Bevor Le Gateau an diesem Sonntag zum letzten Mal in diesem Sommer auftritt, sprach der studierte Jurist mit dem KURIER über seine Bayreuth-Erfahrungen, Buhrufe und Rassismus in Oper und Theater.
KURIER: Sie sind zum Helden von Bayreuth geworden. Haben Sie die Buhrufe von der Premiere inzwischen verarbeitet?
Le Gateau Chocolat: Wenn Sie das auf dem Video sehen, können Sie sich vorstellen, was ich an diesem Abend erlebt habe. Ich trat bereits im Royal Shakespeare Theatre und im Royal Opera House in London auf. Meine Shows führen mich um die Welt. Und ich weiß, wie Buhrufe entstehen. Normalerweise bekommen die Regisseure die Buhs. Aber ich stehe hier an der Front. Manche meinen, ich wurde ausgebuht, weil meine Figur nicht bei Wagner vorkommt. Aber es gibt doch eine zweite dieser Kategorie in dieser Produktion: Manni Laudenbach (er spielt eine Art Oskar Matzerath, den kleinwüchsigen Blechtrommler aus dem Roman von Günter Grass, Anm.). Das Interessante ist, warum hat man nur mich ausgebuht? Die Antwort ist nicht sehr angenehm. Es ist für die Leute leichter, mich zu attackieren.
Weshalb? Weil Sie als Drag Queen auftreten? Oder glauben Sie, dass auch Rassismus ein Grund war?
Ja, das war es. Ich dachte an Grace Bumbry (die Afroamerikanerin war 1961 die Venus, Anm.) Aber man muss einmal recherchieren, wer Wagner war und was die Bayreuther Festspiele ursprünglich waren. Dieses Theater hier stand einst für eine szenische Revolution. Ich zeige Wagners revolutionären Spirit. Ich habe in New York an der Met Wagners „Ring“ mit Jessey Norman als Sieglinde gesehen. Das war ein progressives Statement. Und wenn man sich selbst auf der Bühne repräsentiert sieht, dann wird die Magie des Theaters transzendental.
Haben Sie selbst viele eigene Erfahrungen mit rassistischen Anfeindungen in der Oper und im Theater gemacht?
Ich habe viele Erfahrungen gemacht, die meine Meinung so eingefärbt haben, dass ich vieles, was ich erlebt habe, auf meine Hautfarbe zurückführe. Aber ich frage mich immer wieder, warum man im Jahr 2019 keinen einzigen schwarzen Sänger auf der Bühne der Londoner Oper sehen kann. Eine Kollegin wurde für die Rolle der Carlotta in „Phantom der Oper“ abgelehnt, weil man ihr sagte, dass eine Schwarze das nicht spielen könne. Das ist doch lächerlich. Wir arbeiten in einem Betrieb, der von der Fantasie angeregt wird. Man will, das die Leute glauben, dass man verliebt ist oder dass man erschossen wird. Aber die Fantasie hört auf, wenn es um Farbe geht. Das ist so frustrierend.
Was halten Sie davon, dass man die Darsteller des Otello meistens nicht mehr schwarz schminkt?
Wenn Opernhäuser einen Otello ansetzen, dann sollten sie auch einen schwarzen Tenor engagieren. Und wenn man Puccinis „Madame Butterfly“ aufführt, sollte man auch eine asiatische Sängerin für die Titelpartie holen. Opernhäuser sollten in die Authentizität investieren.
Heißt das, dass Jonas Kaufmann keinen Otello mehr singen soll, weil er kein Schwarzer ist?
Ich habe ihn in London gehört. Zumindest sollte er mit keiner Art von Make-up zeigen, dass er einen Schwarzen darstellt. Schon allein die Vorstellung, dass man sich in eine bestimmte Rasse verwandeln kann und die Geschichte dieses Volkes nur dadurch verkörpert, weil man einfach Farbe aufträgt, beleidigt viele. Wenn wir Klassen- oder kulturelle Differenzen zeigen wollen, dann können wir das mit verschiedenen Kostümen machen. Und bei Opern wie Verdis „Aida“ geht es nicht nur um Rassenfragen. Es geht um Geschichte, es geht um Sklaverei. Stellen Sie sich doch einmal zwei Menschenreihen vor. In einer stehen schwarze, in der anderen weiße. Wer nur schwarz geschminkt ist, kann sich die Farbe abwischen und sich bei den Weißen einreihen und deren Vorteile haben. Aber man kann unsere Rasse nicht wie ein Kostüm an- und ausziehen.
Warum dürfen Schwarze „Romeo und Julia“ spielen, Weiße aber nicht die Gershwin-Oper „Porgy & Bess“?
Die Erfahrungen, die Romeo und Julia machen, basieren nicht auf deren Rasse. Die Rollen von Porgy and Bess aber sind auf schwarzen Erfahrungen aufgebaut, die Weiße nie gemacht haben. Bei „Porgy und Bess“ ist die Rasse zentral, das zeigt sich auch in der Sprache. Ich könnte so gesehen auch keinen Weißen spielen.
Die Britin Reni Eddo-Lodge schrieb ein Buch darüber, warum Sie nicht mehr mit Weißen über ihre Hautfarbe reden will. Können Sie das nachvollziehen?
Dieses Buch sollte man in den nationalen Kanon aufnehmen. Es greift ein Thema auf, dass in Großbritannien nie besprochen wurde, die Sklaverei. Niemand denkt heute daran, was all diese Leute für das Land getan haben. Haben Sie den Film „Dunkirk“ gesehen? Ich war so abgestoßen davon, dass in keiner einzigen Szene gezeigt wurde, dass auch Inder und Westafrikaner im Zweiten Weltkrieg auf britischer Seite gekämpft haben. Das sollten wir bereits in der Schule lehren.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie mit ihren Shows die Welt zu einer besseren machen wollen. Wie kann man das als Drag Queen?
Ich verarbeitete meine eigenen Erfahrungen. In meinem Programm „Black“ geht es darum, dass man nicht darüber sprechen kann, wenn man an Depressionen leidet. Ich möchte nicht die Welt verändern, aber mit jedem kleinen Schritt etwas bewirken. Ich habe zwei Nichten. Und wenn man Kinder hat, verändert das die Wahrnehmung. Ich will, dass sie im Theater nicht nur unterhalten oder gebildet werden. Ich will, dass sie dort die Möglichkeit bekommen, ihre Kreativität zu erweitern.
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