Lavinia Ricci kann man unmöglich heiraten
Es kennt sich eh niemand mehr aus, und deshalb kann man sich gleich den Italiener Gianni Celati und „Die wilden Reisen des Otero Aloysio“ gönnen – da hat man ebenfalls keine Ahnung, aber hier hat das Chaos eine Melodie.
Ein Nachtwächter malt mit seinem Holzbein Kreise in den Sand, damit die Zeit schnell vergeht und er Spaziergänger vom Strand vertreiben und Feierabend machen kann. Eigentlich ist es ja erst Abend. Plötzlich ist es Nacht.
Und es macht Ssst, und manchmal macht es Tling, jedenfalls schreibt der Held – kann sein, dass er gar nicht Otero Aloysio heißt, wer weiß das denn schon? – alle seinen seltsamen Beobachtungen in ein Notizheft. Vor allem die ganzen Gehässigkeiten hält er penibel fest, denen er ausgesetzt ist, weil er die dicke Schuldirektorin Lavinia Ricci nicht heiraten will.
Was das einzig Logische ist: Lavinia Ricci hat nämlich ihren gewaltigen Bauch seitlich an der Hüfte. Otero Aloysio ist einer „ihrer“ Lehrer. Zumindest das steht fest.
Vagabunden
Der Lombarde Gianni Celati – 75 ist er – wurde bei dieser Verrücktheit angeblich vom Monolog eines Geisteskranken inspiriert.
„Die wilden Reisen“ war vor 40 Jahren sein Debütroman. Den Vagabunden, Träumern und Spinnern blieb Celati in seinem Werk treu. Aber derart surreal war er nur ein einziges Mal.
Sein Lektor beim Einaudi Verlag war Italo Calvino. „Der Baron auf den Bäumen“ hatte Calvino bereits international berühmt gemacht. Er riet Celati, Obszönitäten zu streichen. So geschah es.
Nach Veröffentlichung 1971 schrieb Celati die Kapitel um. Davon blieb einiges erhalten und wird im Buch, das erstmals auf Deutsch erscheint, als Bonus dazugestellt. So geht nicht verloren, dass sich jemand zwischen den Beinen Härchen ausreißt und sie wie Blumensträußchen überreicht.
Stummfilm
Es wird viel gelaufen, und man will gar nicht wissen, wer wen warum verfolgt. Hauptsache, sie rennen. Spätestens, wenn drei Lehrerkollegen nebeneinander stehen und immer wieder ihre Hüte tauschen – dem einen ist sein Hut zu eng, den anderen ist er zu groß –, wird man an Laurel & Hardy und Buster Keaton erinnert.
Vielleicht sollte man das Buch gar nicht lesen, sondern schauen. Oder noch besser, denn so gut ist der Sound: Auf dem Plattenteller sollte man es abspielen. Das würde leider nur der Nachtwächter zusammenbringen. Doch der malt Kreise und hat für so etwas keine Zeit.
Info: Gianni Celati - „Die wilden Reisen des Otero Aloysio“. Übersetzt von Marianne Schneider. Wagenbach Verlag. 224 Seiten. 20,50 Euro.
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