Erwin Wurm: "Einfach eine gute Arbeit abliefern"

Erwin Wurm Wandpullover, 2016: Erwin Pröll als Sonne
Erwin Wurm über seine Wandpullover für die Politik – und seine Ideen für die Biennale Venedig.

Die Zeit der Kunstpräsentation im Landesmuseum St. Pölten neigt sich dem Ende zu: Am 1. August beginnt der Umbau in ein "Haus der Geschichte Niederösterreich". Heute, Freitag, werden als Finale die Retrospektive Leopold Koglers und eine Ausstellung mit großteils neuen Arbeiten von Erwin Wurm eröffnet, die bezeichnenderweise "ENDE" heißt. Im Zentrum stehen zwei sechs Meter lange Wandpullover – mit dem Konterfei des Landeshauptmanns Erwin Pröll.

KURIER: SPÖ-Kulturminister Josef Ostermayer hat ein knallrotes Pullover-Wandbild im Palais Dietrichstein hängen, vor Kurzem tapezierten Sie das Regierungssitzungszimmer in der Grazer Burg mit einem "Wandpullover für die Steiermark" aus. Nun gibt es auch die niederösterreichische Flagge als Pulli. Werden Sie zum Strick-Künstler im Dienste der Politik?

Erwin Wurm: Mich hat die Frage der Kunst im politischen Background interessiert. Ich verherrliche aber nicht die Politik, sondern hinterfrage die Macht und ihre Symbole. Denn es gibt immer eine zweite Perspektive, einen kritischen Kommentar. Der Sozialistenpulli im barocken Palais: Das finde ich schon schräg. Und die steirischen Panther des konservativen Winterpullis in Graz speien aus allen Öffnungen Feuer, also nicht nur aus dem Maul.

Und wo ist beim Pröll der Witz?

Ich habe meine Pullis zum Teil wie abstrakte Landschaftsbilder konzipiert: Das Kopfloch könnte die Sonne sein. Hier nun gibt es Erwin Pröll als aufgehende oder untergehende Sonne.

Ist dieser "Fürstenpulli" eine Auftragsarbeit?

Nein, ich wollte ihn unbedingt machen. Vielleicht folgen noch weitere.

Sie pressen Kleidung schon seit vielen Jahren in Kubaturen oder Formen. Nun werden auch die Pullover – wie zuvor schon Ihre Objekte – immer größer.

Das stimmt nicht ganz. Bereits 2009 habe ich ein ganzes Haus, das "Wall House" in Groningen, ausgestaltet: Es gab Decken- und Wandinstallationen aus Strickware.

Seit einer Woche läuft in der Berlinischen Galerie Ihre Ausstellung "Bei Mutti". Sie zeigen erstmals auch ein vier Meter großes Essiggurkerl.

Aber im Freien wirkt es dann doch nicht so groß. Das Ergebnis hat mich fast enttäuscht. Der "Gurk" hätte noch viel größer sein müssen!

In Salzburg stehen gleich beim Festspielhaus ein paar Gurkerln. Zuerst wurden Sie angefeindet – nun sind Ihre "Selbstporträts als Essiggurkerl" ein beliebtes Fotomotiv.

Im Winter hat ihnen jemand Häubchen gestrickt. Das fand ich sehr lässig!

In Berlin ist auch Ihr gequetschtes Einfamilienhaus zu sehen.

Ja, das Elternhaus, in dem man sich eingeengt fühlt. Die Ausstellung in Berlin ist recht groß, beleuchtet aber nur einen Aspekt meiner Arbeit: den Bezug zur physischen Präsenz des Menschen. Im Mittelpunkt stehen die "One Minute Sculptures".

Mit diesen Fotos von Ihnen und anderen in absurden Posen wurden Sie vor 20 Jahren berühmt. Sie fanden viele Nachahmer.

Ja. Das Interesse war enorm. Es wäre leicht gewesen, das ausufern zu lassen. Aber vor zehn Jahren habe ich die Produktion stark reduziert, um die Exklusivität der Werke zu wahren. Neue "One Minute Sculptures" entstehen nur mehr im Kontext eines Museums bei einer Performance, wie kürzlich für die Tate Modern in London.

Laut dem Ranking von "artfacts" sind Sie unter den Top 20 der Gegenwartskünstler.

Nicht schlecht für einen kleinen Steirer aus Bruck.

Und nächstes Jahr bestreiten Sie zusammen mit Brigitte Kowanz den österreichischen Beitrag für die Kunstbiennale Venedig. Die Entscheidung von Kommissärin Christa Steinle, kürzlich bekannt gegeben, wurde kritisiert. Weil sie nicht mutig sei.

Ein Freund sagte: Gratuliere – 15 Jahre zu spät. Aber dann hätte ich heute die Biennale schon hinter mir. Und so habe ich sie vor mir. Das freut mich. Als junger Künstler habe ich mich wiederholt um ein Stipendium beworben. Die Antwort lautete immer: "Sie sind zu unbekannt." Und eines Tages hieß es: "Sie sind zu bekannt." Ich habe das Stipendium daher nie bekommen. Schön, dass es im Fall der Biennale nicht so ist. Und wenn man sich die letzten Jahrzehnte in Erinnerung ruft: Sehr oft haben Länder ihre Zugpferde ins Rennen geschickt.

Haben Sie sich schon bei früheren Biennalen überlegt, wie Sie den Pavillon bespielt hätten?

Nein. Ein Künstlerkollege rannte jeden Tag zum Postkastl – in der Hoffnung, dass er vom Museum of Modern Art eingeladen wird. Und jeden Tag ist er enttäuscht wieder in die Wohnung gegangen. Man kann sich durch eine Erwartungshaltung in eine Frustposition hineinmanövrieren. Das mache ich bewusst nicht. Daher habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich habe ohnedies so viele Ausstellungen. Und auf die konzentriere ich mich.

Und zwar?

In den nächsten zwei Jahren gibt es 16 Einzelausstellungen, darunter in der Nationalgalerie Prag, im Museum Küppersmühle in Duisburg, im Kunstmuseum Luzern, im 21er Haus, im Lehmbruck Museum, und im Grazer Kunsthaus. Zudem bespiele ich heuer zwei Museen gleichzeitig in Florenz – und mitten in der Stadt werden sieben Skulpturen zu sehen sein.

Viele heimische Künstler haben sich am österreichischen Pavillon in den Giardini von Venedig abgearbeitet, weil dieser zur Zeit des Austrofaschismus errichtet wurde. Wie gehen Sie als Bildhauer mit ihm um?

Ja, der Pavillon verweist eindeutig auf den Faschismus. Aber ich mache nichts mit ihm. Der Raum hat mich generell nie als Ausgangspunkt für eine künstlerische Arbeit interessiert. Mir geht es darum, etwas in einen vorgegebenen Raum hineinzustellen, meine Arbeit dort zur Diskussion zu stellen.

Wird es ein gemeinsames Thema geben?

Nein. Ich fühle mich auch nicht an das Motto gebunden, das Christine Macel, die neue Direktorin der Biennale, ausgeben wird. Ich möchte mich nicht in eine bestimmte Richtung drängen lassen, sondern eine bestimmte Arbeit auf eine vollkommen neue Weise zeigen. Meine Arbeit passiert oft anlassbezogen. Ich hatte zum Beispiel damals schon länger die Idee für meine "One Minute Sculptures", aber mir fehlte der Impuls. Und dann wurde ich vom Bremer Kunstverein eingeladen. Ich schickte keine Arbeiten hin, sondern setzte dort die erste Fotoserie um. So nehme ich auch die Biennale zum Anlass, um eine Arbeit zu realisieren, die ich schon seit Langem weitertreiben will.

Ein partizipatives Projekt – wie die "One Minute Sculptures"?

Das ist durchaus denkbar. Da meine Ideen schon recht konkret sind, habe ich den Pavillon beansprucht, also nicht nur den Hauptraum, sondern auch die Flügel.

Damit kann Kowanz leben?

Ich schätze Brigitte und ihre Arbeit seit vielen Jahren, wir sind befreundet. Ich bin daher froh, Venedig mit ihr machen zu dürfen. Wir haben uns geeinigt: Brigitte errichtet im Hof eine Architektur für ihre Lichtinstallation.

Also auch keine gemeinsame Präsentation?

Unsere Positionen sind völlig unterschiedlich. Daher ist es nicht sinnvoll, eine Gruppenausstellung zu machen. Jeder von uns gestaltet seine eigene Präsentation, klar voneinander getrennt. Daher stören wir uns nicht gegenseitig.

Wird das Budget reichen? Für den Österreich-Auftritt stellt der Kulturminister 400.000 Euro Steuergeld zur Verfügung.

Ich habe keine Produktionskosten. Denn meine Galerien – Thaddeus Ropac, Lehmann Maupin, Xavier Hufkens und Johann König – finanzieren die Herstellung. Und ihnen gelingt es in der Regel, meine Arbeiten zu verkaufen. Daher gibt es genügend Geld für Brigitte.

Was ist Ihr persönliches Ziel? Der Goldene Löwe?

Den erwarten sich vielleicht einige von mir. Aber das würde mich stressen. Ich möchte einfach eine gute Arbeit abliefern.

Erwin Wurm: "Einfach eine gute Arbeit abliefern"
ABD0034_20150319 - ARCHIV - Der österreichische Künstler Erwin Wurm blickt am 06.05.2014 im Städel-Museum in Frankfurt am Main (Hessen) in die Kamera. Wurm stellt vom 22. März bis zum 13. September 2015 im Kunstmuseum Wolfsburg die Ausstellung "Erwin Wurm. Fichte" aus. Foto: Arne Dedert/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

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