Kunsthistorisches Museum: Der Griff nach dem Rettungsring

Kunsthistorisches Museum: Der Griff nach dem Rettungsring
Analyse: Das Kunsthistorische Museum geriet wegen versäumter Weichenstellungen ins Schlingern

„Der Wiener Salvator Mundi“: Unter diesem Titel stellt das Kunsthistorische Museum (KHM) derzeit ein Gemälde aus seinem Depot vor, das Christus als Weltenretter mit einer durchscheinenden Weltkugel abbildet. Das Werk wirkt lebendiger als der sagenumwobene „Salvator Mundi“, der durch seine Zuschreibung an Leonardo da Vinci und den Verkauf um 450 Millionen US-$ eine beispiellose Aura erhalten hat.

Katalogisiert war das KHM-Bild bisher als „Tizian Werkstatt“, also als Produkt aus dem Umfeld des venezianischen Meisters. Neue Forschungen sprechen nun für die Eigenhändigkeit Tizians.

Dass ein Museum sich nicht nur über Ausstellungen, sondern auch mittels Wissenschaft profiliert, kann nicht oft genug gesagt werden. Dass das KHM am Salvator-Mythos partizipieren will, lässt sich dennoch auch als Griff nach einem Rettungsring interpretieren: Denn um die Fähigkeit von Österreichs größtem Museum, packende und attraktive Geschichten zu erzählen, war es schon einmal deutlich besser bestellt.

Kunsthistorisches Museum: Der Griff nach dem Rettungsring

Strahlkraft

Die letzten spektakulären Altmeister-Ausstellungen des Hauses – Rubens 2017/’18, Caravaggio & Bernini 2019/’20 – entsprangen einem Klima wirtschaftlicher Prosperität und stabiler Führung. Die Doch-nicht-Bestellung des Uffizien-Direktors Eike Schmidt führte 2017 –’19 zu einer Phase der Unsicherheit, in der die Nicht-mehr-und-dann-doch-wieder-Direktorin Sabine Haag programmatische Weichenstellungen nicht vornehmen konnte oder wollte.

Auf die Pandemie war das Museum damit schlechter eingestellt als andere Häuser. Dass das KHM 2020 neben der Schau „Coronas Ahnen“ in der Wagenburg Schönbrunn die Ausstellung „Beethoven bewegt“ im Haupthaus hervorzaubern konnte, war ein Zeichen der Resilienz: Aus einem von Schmidt hingeworfenen Ideenbrocken zum Beethoven-Jahr zimmerten der Kurator Jasper Sharp, dem stellvertretenden Theatermuseums-Chef Andreas Kugler und Kunstvermittler Andreas Zimmermann ein interdisziplinäres Erlebnis, das heute noch viele Besucherinnen schwärmen lässt.

Doch alle drei Verantwortlichen haben den KHM-Verbund mittlerweile verlassen. Die strukturelle Blöße, die sie hinterlassen, ist nicht mehr zu übertünchen: Der bestens vernetzte Brite Sharp hatte zehn Jahre lang quasi im Alleingang die größten Namen der Kunstwelt (Mark Rothko und Lucian Freud als Ausstellungsmagneten, Ed Ruscha und Wes Anderson als Kuratoren, dazu zahllose prominente Gäste bei Veranstaltungen) ans KHM geholt.

Und das, ohne dass das Museum abseits seiner Person eine Struktur für die Anknüpfung an die Gegenwart aufgebaut hätte. Die Interdisziplinarität – zwischen Sammlungsbereichen, Epochen, Erzählungen – blieb Zufall, kein Programm.

Kunsthistorisches Museum: Der Griff nach dem Rettungsring

Neben der Spur

Die zuletzt von der emeritierten Gemäldegalerie-Chefin Sylvia Ferino verantwortete Altmeister-Ausstellung, die das Thema „Tizians Frauenbild“ lehrbuchmäßig abhandelte, signalisierte, dass das KHM derzeit eher nicht daran denkt, an hoch aktuellen Diskursen über die Neubewertung historischer Macht- und Rollenverhältnisse zu partizipieren.

Im Weltmuseum treibt Neo-Chef Jonathan Fine die Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit voran, im Programm muss er aber erst seine Handschrift hinterlassen.

Im Theatermuseum fand Neo-Chefin Marie-Theres Arnbom nach ihrer Bestellung erst einmal ein Programmvakuum vor.

Die nächste große KHM-Schau ab Ende März, „Iron Men“, zeigt nun historische Rüstungen. Eine programmatische Ansage ist das hoffentlich nicht: Das KHM, dieser wundervolle Ort, sollte wieder wagemutiger und sichtbarer werden.

Sich in einem Harnisch einzuigeln, wäre nach dem gefühlt schon zu lange dauernden Rückzug das falsche Signal.

Kommentare