Kunsthalle Wien: Zwischen Leerstand und Avantgarde
Und weg war er: Nach der Eröffnung der Schau „Peter Friedl – Theatro“ im MuseumsQuartier (bis 9.6.) machte sich Nicolaus Schafhausen rar, ein geplantes KURIER-Interview kam nicht mehr zustande. Der Kurator, der die Kunsthalle Wien seit 2013 geleitet hatte, gab nur noch einen kurzen Auftritt als Krokodil bei der Programm-Pressekonferenz der „Vienna Biennale“ (ab 29.5. ). Nicht alles, was sich Avantgarde nenne, sei auch eine solche, schrieb Schafhausen den versammelten Funktionsträgern dort ins Stammbuch – was wirklich fortschrittlich war, lasse sich stets erst hinterher beurteilen.
Unverstanden
Gestern, Sonntag, endete Schafhausens Amtszeit als Kunsthallen-Chef offiziell. Fast drängt sich die Frage auf, ob der Deutsche ein unverstandener Avantgardist war. Für eine Antwort ist es vielleicht zu früh. Der in manchen Medien festgeschriebene und von der Rathaus-Opposition gern aufgegriffene Befund, wonach die jährlich mit 4,1 Millionen Euro subventionierte Institution unter Schafhausen einen Niedergang erlebt hätte, wird durch relativ schwache Besuchszahlen (2018: 70.429) gestützt. Inhaltlich ist das Urteil aber zu hinterfragen.
Schafhausen trat mit dem Anspruch an, gesellschaftlich relevante Kunst zu präsentieren, und verweigerte sich der Logik des Wechselspiels von populären und eher „schwierigen“ Inhalten. Den Ort, an dem Kunst „ wirkungsmächtig“ sein könne, vermutete er nicht erst gegen Ende seiner Amtszeit außerhalb der Museumsmauern: Zum Ausbau der Social-Media-Präsenz und Übertragungen von Veranstaltungen ins Netz kamen Ausstellungen, die Zeitschriften präsentierten oder ohne physische Ausstellungsstücke auskamen („L’exposition imaginaire“, 2016) . Das ließ insbesondere die großen Hallen im MQ teilweise verwaist aussehen.
Zeitgemäß im Zickzack
Thematisch lag Schafhausens Kunsthalle aber näher an den Fragen der Zeit als jede andere Wiener Kunstinstitution: Der Kurator programmierte früh Gruppenausstellungen zur Haltbarkeit digitaler Erinnerungen („The Future of Memory“, 2015), zum „Politischen Populismus“ (2015) oder zur Automatisierung („The Promise of Total Automation“, 2016). Nicht alle waren rundum schlüssig: Schafhausen und seine engste Mitarbeiterin Vanessa Joan Müller näherten sich ihren Themen gern im Zickzackkurs, nahmen obskure Quellen als Ausgangspunkte und überließen es dem Publikum, die Brücken zwischen einzelnen Beiträgen zu schlagen (auch im direkten Gespräch verzichtet Schafhausen gern darauf, Dinge auszubuchstabieren, was verunsichern kann).
Auf spannende Positionen traf man aber fast immer, des Öfteren (z. B. „How to live together“, 2017) gelangen erstklassige Reflexionsräume zu heutigen Themen.
Schafhausens Solo-Präsentationen einzelner Kunstschaffender waren tendenziell einfacher zu rezipieren. Wenngleich er einige bekannte Namen (Isa Genzken, Liam Gillick, Sarah Morris) hevorzauberte, favorisierte der Kunsthallen-Direktor auch hier selten Gesehenes: Charlemagne Palestine, der Minimal-Musiker mit Faible für Teddybären, war ebenso eine Entdeckung wie der belgische Avantgardist Guy Mees oder die Kanadierin Ydessa Hendeles mit ihren genialen Inszenierungen von Puppen und musealen Objekten. Massenprogramm waren diese denkwürdigen Ausstellungen alle nicht.
Einsame Wölfe
Auch das derzeit laufende Programm gibt Einzelkämpfern eine Bühne: Am Karlsplatz zeigt der 80-jährige Heinz Frank seinen über Jahre entstandenen Privatkosmos aus Sprach- und Materialarrangements, hochgradig sonderbar und lebendig zugleich. Im Haupthaus im MuseumsQuartier gastiert mit Peter Friedl ein mehrfacher documenta-Teilnehmer, der historisch aufgeladene Modelle, Filme und Theater-Settings entwirft.
Beim Rundgang für Medienvertreter warf Friedl leicht beleidigt in die Runde, dass es außer Schafhausen bisher noch niemand in Österreich für wert befunden hätte, ihm eine institutionelle Einzelschau zu widmen. Tatsächlich brachte der Kunsthallen-Chef vieles nach Wien, das man sonst nicht gesehen hätte. Ob es Avantgarde war? Wir werden sehen.
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