Kunst und Verletzung: Wenn Bilder „Aua“ schreien könnten

Kunst und Verletzung: Wenn Bilder „Aua“ schreien könnten
Eine Ausstellung im Wiener Dommuseum verhandelt das Thema der Wunde auf vielen Ebenen parallel

Der Barockkünstler Gian Lorenzo Bernini ersann einst ein Bild, auf dem Jesus am Kreuz hoch in der Luft zu schweben scheint. Aus seinen Wunden spritzt das Blut in hohem Bogen, die ganze Landschaft unter ihm ist in einem Blutmeer versunken.Bernini, heißt es, wollte das Bild im Moment seines Todes betrachten können, sodass seine Sünden im Blut ertränkt würden. Das Originalgemälde gilt heute als verschollen, doch es wurde vielfach reproduziert: Eine Version hängt in der Schau „Zeig mir deine Wunde“ im Wiener Dommuseum (bis 25.8.’19).

Kunst und Verletzung: Wenn Bilder „Aua“ schreien könnten

Dass die katholische Kunst stets einen Kult um Blut und Wunden trieb, bedarf eigentlich keiner großen Erläuterung – war die kirchliche Bildnerei doch immer wieder darum bemüht, die Gläubigen das Leid Jesu nachfühlen zu lassen und die „Imitatio Christi“ zu erleichtern.

Die gegenwärtige Ausstellung will den Bogen jedoch über diese Tradition hinaus spannen und argumentiert, dass das Thema der Verwundbarkeit ein universell menschliches sei. Dazu sind zahlreiche Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler historischen Beständen gegenübergestellt.

Es klafft und blutet

Dass der Spagat funktioniert, ist der intensiven Ästhetik der Werke geschuldet: Diese fällt zwar gelegentlich drastisch aus, schielt aber nicht auf billige Schockeffekte. Das großformatige Foto der vom Skalpell gezogenen Wunde an einem Fuß, das Andres Serrano in einem Leichenschauhaus anfertigte, oder die Bilder von Günter Brus’ aktionistischen Selbstverwundungen können ihre Verwandtschaft zu den Kruzifixen, Kreuzabnahmen und Darstellungen des von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian allerdings auch nicht ablegen, selbst wenn sie es wollten: Die Ikonografie der Verwundung ist so stark, dass auch nicht-religiöse Kunstschaffende kaum umhinkonnten, sich ihrer zu bedienen.

Die Wunde sei eine „Intensivierungsstrategie“, sagt dazu Co-Kurator Klaus Speidel: „In der Religion wie in der Kunst ist die Verwundung ein Zeichen dafür, dass man es ernst meint.“

Leinwände und Kinder

Es bleibt die Frage, inwiefern sich körperliche Verwundungen mit solchen symbolischer Natur parallel setzen lassen.

In der Ausstellung wird der Sprung von verwundeten Körpern und Seelen zur Versehrung von kulturellem Material nämlich mitunter etwas zu selbstverständlich vollzogen.Eine aufgeschlitzte Leinwand von Lucio Fontana (1959) belegt etwa eine radikale Auflehnung gegen tradierte Vorstellungen dessen, was ein Bild zu sein hat: Der Umsturz verbleibt hier aber im Kunstkontext. Auch der Franzose Kader Attia zelebriert die Reparatur von Versehrungen auf symbolischer Ebene – etwa mit einem zusammengeflickten Globus.

Kunst und Verletzung: Wenn Bilder „Aua“ schreien könnten

Komplexer ist da der vom Schweden Anders Krisár gefertigte, realistisch anmutende Kindertorso, in dem tiefe Handabdrücke eingeschrieben sind: Ist hier gar eine Anspielung auf die tiefen Wunden, die Kindern auch und gerade in der katholischen Kirche zugefügt wurden (offiziell 3677 Missbrauchsfälle allein in Deutschland von 1946–2014), in die Schau gerutscht?

Die direkte Körperlichkeit der Darstellung löst jedenfalls eine andere Reaktion aus als die Auseinandersetzung in abstrahierter Form.

Bildersturm

Dennoch ist es nicht ganz verkehrt, Bildern Lebendigkeit und Körperhaftigkeit zuzugestehen. An einer Wand der Schau wird dies offensichtlich: Hier hängt ein Bild des Gekreuzigten, das im Oktober 1938 von Nazis beim Sturm auf das erzbischöfliche Palais beschädigt worden war. Kardinal Innitzer, der noch im März ’38 die Katholiken motiviert hatte, für den „Anschluss“ zu stimmen, hatte den Angriff ausgelöst, als er katholische Jugendliche aufforderte, sich zu Christus, „unserem Führer und Meister“ zu bekennen.

Der verwundete Körper und der versehrte Bildträger stellen nun unisono Wunden in der Geschichte Österreichs und seiner Kirche dar. Der Künstler, der das mittelmäßige Kruzifix im 19. Jahrhundert gemalt hatte, hatte das freilich nie beabsichtigt.

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