Kunst in Salzburg: Ein barockes Stationentheater

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Zeitgenössische Kunst eignet sich in der Festspielstadt Repräsentationsräume und den öffentlichen Raum an – und schwelgt in Verspieltheit.

Salzburg nähert sich zur Festspielzeit zunehmend an Venedig an. Das betrifft das Touristenaufkommen, aber nicht nur: Die Rede ist hier von der Art und Weise, in der Akteure aus dem Feld der zeitgenössischen bildenden Kunst die repräsentativen historischen Räumlichkeiten, Institutionen und Plätze der Stadt nutzen, um Kunst – nicht nur, aber auch mit der Absicht der Aufwertung und des Verkaufs – zu präsentieren.

In Venedig ist ja insbesondere zur Zeit der Kunstbiennale kein Palazzo und keine Kirche davor gefeit, zum Kunstschauraum zu werden – und die Museen geben das, was von ihrem einstigen Präsentationsmonopol noch übrig ist, ebenso gern in die Hände von international agierenden Galerien und Stiftungen.

Dass diese für Salzburg gewiss nicht fremde Praxis heuer besonders augenfällig zutage tritt, liegt zunächst an den fünf Frauenköpfen des katalanischen Künstlers Jaume Plensa, die rund um den Brunnen am Residenzplatz postiert wurden: Jeweils 11 Meter hoch und rund 30 Tonnen schwer, kommt buchstäblich niemand an ihnen vorbei. 

MEDIENTERMIN SKULPTURENINSTALLATION ?SECRET GARDEN? AM RESIDENZPLATZ

Allerdings sind die verzerrten Metallporträtbüsten, die laut fluffigem Begleittext „Hoffnung, Optimismus und Schönheit“ zum Ausdruck bringen können, nur bis 29. August hier postiert – auf Zwischenstation zu einem US-Sammler, dessen Privatmuseum samt Skulpturenpark erst fertig gebaut werden muss.

Masse und Macht

Hinter der Aktion steht die Bonner „Stiftung Kunst und Kultur“, die den Thinktank „Global Neighbours“, getragen von Investorin Jovanka Porsche und Ex-Kanzler Christian Kern, als Sponsor an Bord geholt hat. 

Das Mastermind der Stiftung, Walter Smerling, fädelte einst auch die Aufstellung jener Skulpturen im Stadtraum ein, die nun als Dauerleihgabe des Schrauben-Magnaten Reinhold Würth den Repräsentationswillen der für Salzburg so wichtigen Mäzene fortschreiben: Die Erwin-Wurm-Gurken und der Anselm-Kiefer-Pavillon vor dem Festspielhaus, der Plensa-Kopf vor der rechtswissenschaftlichen Fakultät, die Tony-Cragg-Bronze am Makartplatz. Das Problem daran ist weniger die Kunst selbst als der Umstand, dass sich der Salzburger Kosmos wie ein Schwarzes Loch auf die immer gleichen Namen zusammenzieht.

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Der Brite Cragg, der für seine abenteuerlich verdrehten Figuren bekannt ist, hat heuer dazu einen besonderen Auftritt in den Prunkräumen der ehemaligen ehemals fürsterzbischöflichen Residenz.

Wildgewordenes Rokoko

Die Präsentation, die in Kooperation mit der Galerie Thaddaeus Ropac realisiert wurde, erstreckt sich auf sechs Räume und ist durchaus reizvoll – sind doch viele Skulpturen auf das Formenvokabular der barocken Räume abgestimmt: Die Struktur eines halbkugelförmigen Objekts wiederholt etwa Blumen-Intarsienmuster aus dem Holzfußboden, eine rosa Skulptur scheint aus wildgewordenen Rokoko-Tischchen zu bestehen, und vier aus iranischem Travertin gefräste Skulpturen rufen Assoziationen zu den „Charakterköpfen“ des Bildhauers F. X. Messerschmidt aus dem 18. Jahrhundert wach. Man fragt sich allerdings auch, ob der österreichische Kunstgeschmack jemals über das Barock hinausgekommen ist.

Das Gravitationsfeld dieser Kunst droht Anderes jedenfalls zu verschlingen – die Galerie Mauroner, die schon sehr früh mit Plensa und Cragg handelte, behauptet sich in ihrem Raum im Hof der Residenz mit zwei Kleinskulpturen der Künstler nur mühsam. Daneben hat die Messe „Art & Antique“ noch bis heute, Sonntag, ihr sommerliches Zelt aufgeschlagen – zum vorerst letzten Mal, denn bald beginnen Bauarbeiten für ein neues Besucherzentrum und Archäologiemuseum, die bis 2028 andauern sollen. Gemeinsam mit dem bereits begonnenen Projekt einer Belvedere-Dependance wird sich das Kultur-Gefüge des Areals in naher Zukunft stark verändern.

Wasserspiele

Bei den Playern, die abseits davon Kurs halten, findet sich die Dependance der Galerie Sturm & Schober am Kapitelplatz mit einer schönen Präsentation des Natur-Poeten Herman de Vries sowie Galerist Nikolaus Ruzicska, der in Salzburg oft als einziger Pionierposten modernistisch-analytischer Kühle inmitten all des barocken Überschwangs agiert.

In den komplex verspiegelten und verfremdeten Naturfotografien von Axel Hütte, die Ruzicka bis 31. 8. zeigt, könnte man allerdings auch eine Nähe zu Spiegelsälen und Wasserspielen erkennen – tatsächlich widmet sich der andere, hier nicht gezeigte Teil von Hüttes Werkserie „Reflexio“ barocken Palastanlagen.

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Die gewitzteste Aneignung eines Salzburger Raums gelingt jedoch Philipp Timischl, den die Galerie Emanuel Layr in der Andräkirche präsentiert. Mit dem Titel seiner Installation, „Dummodo me Ames“, suggeriert der Künstler ein Kirchenlied – tatsächlich ist es aber die lateinische Übersetzung des Hits „As long as you love me“, die Popstar Justin Bieber 2012 veröffentlichte.

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Waschbären

Rund um das Thema malt Timischl „Ikonen“ und Andachtsmotive und kombiniert diese wiederum mit irrwitzigen, KI-generierten Videos. In diesen fällt etwa eine Horde Waschbären über eine Stadt her, die annähernd wie Salzburg aussieht: „Ein bissl deppert, aber herzig“, wie es in einem der 18 Erklärtexte, die unter anderem auch in steirischem Dialekt abgefasst sind, heißt. Bei aller Absurdität verdichtet sich das Erlebnis in der Kirche dann aber zu einer durchaus profunden Meditation darüber, was (und wem) man glauben kann. Keinesfalls versäumen!

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