Am Puls der Zeit zu sein, ist viel Arbeit. Auch Ihr Vollzeit-Kunstredakteur scheitert seit Jahren an dem Vorsatz, über jene Initiativen, die sich neben den etablierten Museen und Galerien in der Hauptstadt um die Präsentation von Kunst bemühen, auch nur halbwegs den Überblick zu bewahren.
Das Format „Über das Neue“ ist da eine hilfreiche Krücke, verspricht es doch eine geballte Zusammenschau dessen, was in den Szenen Wiens „und darüber hinaus“ gerade passiert.
Das bringt natürlich Probleme mit sich: Das Hierarchie- und Ressourcengefälle zwischen einem (trotz allem) gut dotierten Bundesmuseum und den oft maßgeblich von Selbstausbeutung befeuerten Off-Spaces lässt sich ebenso wenig wegdiskutieren wie die unterschiedliche Atmosphäre, in der Werke da oder dort zur Geltung kommen. Und überhaupt: Wer sucht aus?
Das erstmals 2019 ausprobierte Konzept setzt auf die Kraft des Kollektivs: Fünf Kuratorinnen und Kuratoren wählten eine Reihe von Kunsträumen aus, die wiederum autonom entscheiden, was sie in den ihnen zugedachten Segmenten zeigen. Nach der ersten Auflage (bis 2. 7.) sind zwei weitere Präsentationen an der Reihe.
Die Ausstellungsarchitektur des Teams AKT (es ist heuer auch für Österreichs Beitrag zur Architekturbiennale Venedig verantwortlich) trägt dem Rechnung: Stellwände sind hier auf Fahrgestellen montiert und suggerieren ständige Bewegung.
Material und Meinung
Am Ende sind es aber doch starke Einzelbeiträge, die dafür sorgen, dass die Ausstellung mehr ergibt als ein großes Postulat. Da sind etwa die Skulpturen und Wandobjekte von Heti Prack, die – in aufwendigem Marmorstuck gefertigt – von intensiver Auseinandersetzung mit Materialien erzählen und zugleich eine fiktive Geschichte vorantreiben (es geht um schwule Kunsthandwerker, die einander auf einer Baustelle des Roten Wien näherkommen).
Der Wille, Material als Bedeutungsträger ernst zu nehmen, zeigt sich auch bei den Beiträgen von Julia Haugeneder, die mit Folien und Fliesen arbeitet und damit auf Kaugummi-Verpackungen anspielt, oder bei Ana de Almeida, die Erinnerungsstücke an die Seifenproduktion in Tschechien in selbst gefertigte Seifenblöcke eingoss.
Der Hingucker im Zentrum des Saals ist wohl die Installation „Gut gemeint“ von Gabriele Edlbauer und Julia S. Goodman, die mit gemalten Objekten und einem großen Gemälde, das ein Käsewettessen zeigt, alle Genre- und Formkategorien aufeinanderprallen lässt. Grotesken, wie man sie aus niederländischer Malerei kennt (ein „Old Master Gouda“-Logo blitzt zwischendrin auf) treffen hier auf Zitate aus zeitgenössischen Verschwörungserzählungen. Insgesamt: Irre.
Aus dem Gezeigten „Trends“ ableiten zu wollen, wäre gewagt, könnte die nächste Installation doch schon ganz andere Schlüsse nahelegen. In der gegenwärtigen Form zeigt sich wohl, dass die Grenze zwischen Kunst und Ritual durchlässiger geworden ist (etwa in Beiträgen von Francesca Aldegani, Minda Andrèn). Aus der Perspektive des Kunstbetriebs erscheint wiederum die Welt etablierter Galerien kaum noch getrennt von jenen Akteurinnen und Akteuren, die (noch) nicht Teil dieses Systems sind.
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