Kunst als hilfreicher Faustschlag

Wiener Gruppe: Franz J. Hubmann, Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald 2 welten (2. literarisches cabaret), 1959
Die mumok-Schau „Mein Körper ist das Ereignis" beweist die dauerhafte Kraft der Aktionskunst.

Und wir dachten, wir seien abgebrüht. Die Schüttaktionen mit Blut und Gedärmen von Hermann Nitsch, die inszenierten Selbstattacken von Rudolf Schwarzkogler oder Marina Abramović – all das schien, in Form körniger Fotos und unscharfer Videos, in der Schublade abgelegt, als Museumsmaterial einbalsamiert, entschärft.

Nun aber führt die Schau „Mein Körper ist das Ereignis“ die Dokumente der Aktionskunst noch einmal in solch geballter Form vor Augen, dass es einem Schlag in die Magengrube gleichkommt.

Es wurde dabei nichts neu inszeniert, geschönt oder an Sehgewohnheiten angepasst. Doch die Auswahl an Fotos und Videos, von denen das mumok eine der international bedeutendsten Sammlungen besitzt, lässt keinen Zweifel an der Brisanz jener Kunstrichtung, die in den 1960er und 1970er Jahren unter Namen wie „Aktionismus“, „Performance“ und „Happening“ international für Aufregung sorgte.

Zwingende Entwicklung

Eva Badura-Triska, mumok-Kuratorin und führende Expertin für Aktionismus, wollte Bezüge zwischen den Wiener Protagonisten und ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen herstellen.

Kunst als hilfreicher Faustschlag
Wiener Gruppe: Franz J. Hubmann, Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald 2 welten (2. literarisches cabaret), 1959
Dabei ging es ihr, wie sie betont, nicht um direkte Zusammenhänge nach dem Muster „X beeinflusste Y“. Vielmehr sind auf zwei Museumsetagen Filme und Fotos verschiedener Herkunft nach inhaltlichen Schwerpunkten gruppiert. Und so wird nachvollziehbar, dass zu jener Zeit etwas „in der Luft lag“, das vielen Künstlerinnen und Künstlern keine andere Wahl ließ, als den Körper zum „Ereignis“ und zum Feld radikaler Grenzüberschreitungen zu machen.

Der Vietnamkrieg – und das Gefühl der Machtlosigkeit angesichts der von ihm übertragenen Gräuelbilder – war ein solcher Anstoß. 1966 feierte Otto Muehl eine zynische „Vietnamparty“, bei der Verwundungen nachgestellt wurden; 1971 ließ sich der US-Künstler Chris Burden bei einer Performance in den Oberarm schießen.

Die Entzauberung nährte auch das Verlangen nach neuen Ritualen samt Opfer- und Erlösungsmetaphorik. Neben Hermann Nitsch bemühten sich Marina Abramović, die Kubanerin Ana Mendieta oder der US-Amerikaner Terry Fox, dieses Vakuum zu füllen. Daneben galt es, traditionelle Kategorien von Malerei zu Skulptur zu sprengen.

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Kunst als hilfreicher Faustschlag

Die Tabus bleiben

Die Frage, ob all diese Befreiungsschläge mehr Freiheit gebracht haben, schwingt noch lange nach dem Besuch der Ausstellung nach. Einiges wurde vom Mainstream aufgesaugt: Die Stadtdurchquerung über Dächer entlang einer gedachten Linie, die Neša Paripović 1977 vorführte, ist heute eine Trendsportart, und die Selbstbeobachtungen beim Sex von Natalia LL ( 1969) sind wohl nur im Kontext der sexuellen Revolution nachvollziehbar.

Der überwiegende Teil der Arbeiten demonstriert aber, dass Prüderie, Machtlosigkeit und die Disziplinierung des Körpers in der Gesellschaft heute mindestens so präsent sind wie einst. Der ästhetische Faustschlag, mit dem die Ausstellung diese Erkenntis vermittelt, ist nicht angenehm, aber hilfreich.

Infos

„Mein Körper ist das Ereignis“ zeigt bis 23.8.2015 auf zwei Etagen des mumok in Wien Video- und Foto-Dokumente des Wiener Aktionismus und internationaler Performancekunst. Eltern wird vom Museum empfohlen, die Schau zuerst ohne Kinder anzusehen und dann über die „Zumutbarkeit“ zu entscheiden.

Am 24. und 25. 4. findet ein Symposium zur Schau statt. Im Rahmen von ImPulsTanz sind Performances im Museum geplant.

Kommentare