Kulturhistoriker Carl E. Schorske 100-jährig gestorben

Der US-amerikanische Kulturhistoriker und Ludwig-Wittgenstein-Preisträger, Carl E. Schorske, ist Wiener Ehrenbürger
Mit seinem Hauptwerk "Wien - Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle" leitete er einen kulturtouristischen Boom ein.

Sein in zehn Sprachen übersetztes Hauptwerk "Wien - Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle" brachte nicht nur ihm selbst weltweite Anerkennung, sondern rückte auch Wien in den Mittelpunkt kulturhistorischen Interesses: Am Wochenende ist der renommierte US-Kulturhistoriker Carl E. Schorske 100-jährig gestorben, wie das Österreichische Kulturforum in New York mitteilte.

Standardwerk

"Sein Werk zum Fin de Siecle in Wien ist ein Standardwerk für jeden, der sich für die Wiener und österreichische Kultur, das intellektuelle Leben und das Verhältnis zur Gesellschaft und Politik rund um 1900 interessiert", erklärte der Historiker Gary Cohen, der einst bei Schorske an der Princeton University dissertierte und bis vor kurzem das "Center for Austrian Studies" an der University of Minnesota geleitet hat, anlässlich des 100. Geburtstags Schorskes im vergangenen März.

Das Buch sei immer noch der Ausgangspunkt für viele Studenten, die sich dem Feld widmen. Schorske habe durch seine "einfühlsamen, eleganten Schriften" auch die weiterführende Arbeit zahlreicher Historiker und Kulturwissenschafter inspiriert.

Wittgenstein-Preis

Als "einen der größten lebenden Kulturhistoriker" bezeichnete ihn die Österreichische Forschungsgemeinschaft im Jahr 2004 anlässlich der Verleihung des von ihr vergebenen Wittgenstein-Preises. Als er bei seinem letzten öffentlichen Auftritt in Österreich im Jahr 2012 zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt wurde, nannte ihn Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) den Mann, "der uns unsere eigene Geschichte nahe gebracht hat". Seine Bedeutung in den USA hielt Schorske selbst für gering, wie er anlässlich seines 90. Geburtstags zur APA sagte: "Ich spiele in Amerika eine sehr marginale Rolle." Kollege Cohen sieht darin allerdings eher einen Beweis dafür, welch geringes Ansehen wichtige Humanwissenschafter in der amerikanischen Öffentlichkeit generell genießen.

Kulturhistoriker Carl E. Schorske 100-jährig gestorben
APAHPF06 - 20042007 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA TEXT KI - Kulturhistoriker Carl E. Schorske (l.) zu Gespraechen bei BP Heinz Fischer am Freitag, 20. April 2007 in der Wiener Hofburg. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
Dass sich Schorske in seinem Standardwerk ausgerechnet mit Wien beschäftigte, erklärte er 2005 so: "Die Verbindung zwischen der Vielfalt der Ideen und dem Gefühl der Identität hat Wien zu etwas ganz Besonderem gemacht." Für sein Projekt einer "Suche nach den Wurzeln der Moderne" habe sich Wien daher besonders geeignet. Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses des Amerikaners stand stets die europäische Geistes- und Kulturgeschichte seit dem 18. Jahrhundert. Seine Österreich-Studien konzentrierten sich auf politische und kulturelle Strömungen im Kontext der Krise des Spätliberalismus in den letzten Jahrzehnten der Donaumonarchie.

Hauptwerk mit 65 Jahren

Carl Schorske wurde am 15. März 1915 in New York geboren. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Werks "Fin-de-Siècle Vienna", das ihm 1981 den Pulitzerpreis einbrachte und ihn schließlich berühmt machte, war er bereits 65 Jahre alt und emeritierte im gleichen Jahr. Obwohl der international anerkannte Historiker, der 1950 an der Harvard University promoviert wurde, eine ganze Latte an wissenschaftlichen Publikationen vorlegte - u.a. beschäftigte er sich mit dem Zustand im Nachkriegsdeutschland ("Eastern and Western Orientation in German Foreign Policy, 1947) ebenso wie mit Gustav Mahler ("Eine österreichische Identität: Gustav Mahler", 1996) -, war es gerade das "Pionierwerk" des Wiens um 1900, das immer wieder Aufsehen erregte.

Für den Wiener Historiker Gerald Stourzh hat Schorske damit herkömmliche historische Methoden hinter sich gelassen und "wahrhaft transdisziplinär aus historischen, literarischen, aus Architektur-und Bildquellen, aus der Musik, aus psychoanalytischen Materialien ein Ganzes geformt".

Berater für Museen

Schorske lehrte zunächst an der Wesleyan University, ab 1960 an der University of California in Berkeley und von 1969 bis zu seiner Emeritierung 1980 an der Princeton University, wo er sechs Jahre lang dem "Programme in European Cultural Studies" vorstand. In Forschung und Lehre hat Schorske wiederholt auf die bildenden Künste zurückgegriffen; er stand vielen Museen in Europa und den USA beratend zur Seite und begleitete mit bedeutenden wissenschaftlichen Beiträgen die großen "Traum und Wirklichkeit"-Ausstellungen über das Wiener Fin de Siècle in Wien, Paris und New York. Auch für die Freud-Ausstellung der Library of Congress, die auch in der Österreichischen Nationalbibliothek gezeigt wurde, war er wissenschaftlicher Konsulent.

Der Kulturhistoriker wurde neben dem Pulitzerpreis mit zahlreichen weiteren Auszeichnungen geehrt. Er war Träger zahlreicher Ehrendoktorate, Mitglied mehrerer Akademien und zudem Ehrenvorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Internationalen Zentrums Kulturwissenschaften (IFK) in Wien, das die deutsche Übersetzung seines Werkes "Thinking with History. Explorations in the Passage to Modernism" (1998) betreute (Wien 2004). Im Jahr 2012 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt, kurz nach seinem 100. Geburtstag überreicht ihm Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) in New Jersey Ende März das Große Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich.

Kommentare