Mons & Pilsen: Kleinstadt-Metamorphosen

Vor dem Unfall in der neuen Kulturhauptstadt in Belgien, als die Skulptur „The Passenger“ von Arne Quinze Ende Dezember in Mons teilweise zusammenbrach
Das belgische Mons in der Wallonie ist mit Pilsen in Tschechien Kulturhauptstadt 2015.

Am 24. Jänner geht’s los. Zur Eröffnungsfeier unter dem Titel "Erleuchtung" gibt’s ein Feuerwerk und ein Spektakel aus Theater und Tanz, Musik und Licht. 18.000 Silberponchos werden verteilt, 100.000 Besucher erwartet.

Aber Mons hat schon vorher Schlagzeilen gemacht, die niemanden freuten: Mit einem großen Krach fiel "The Passenger", eine gigantische Holzinstallation aus Tausenden Latten über einen ganzen Straßenzug, am Heiligen Abend in sich zusammen.

Nur durch Glück wurde niemand verletzt. Die Freiluft-Installation des flämischen Künstlers Arne Quinze, 16 Meter hoch, 85 Meter lang, immerhin eine Hauptattraktion der europäischen Kulturhauptstadt 2015, lag in Trümmern am Boden.

Mittlerweile ist "der Reisende" wieder aufgebaut – und erfüllt wieder seine vom Künstler vorgesehene Aufgabe als Sinnbild für Entschleunigung und Kommunikationsmittel für die Menschen. Denn "The Passenger" soll Menschen miteinander ins Gespräch bringen.

Ein Happening

"Das Naturholz repräsentiert die Bürger von Mons. Rot steht für ganz widersprüchliche Dinge – es kann in der Natur abstoßen oder anziehen. Im Zusammenhang mit der Justiz kann die Farbe ganz Unterschiedliches bedeuten", erklärte Quinze sein Kunstwerk. "Da meine Installation auch an einem Gotteshaus vorbeigeht, habe ich Schwarz und Weiß im Zusammenhang mit der Kirche als Symbol für Tod und Geburt gewählt."

Für ein "permanentes Happening", so die Ankündigung im Programmheft, hat Intendant Yves Vasseur als Budget knapp 70,5 Mio. Euro – also etwa so viel wie Linz 2009 – zur Verfügung.

Mehr als 300 Veranstaltungen sind für heuer programmiert, darunter 20 große Ausstellungen. Das Museum für Zeitgenössische Kunst (MAC) in Grand-Hornu zeigt unter dem Titel "Der Heilige Georg, der Drache und der Tod" (18. 10. 2015 bis 17. 1. 2016) Gemälde, Zeichnungen und Miniaturen des Heiligen.

Erbe der Menschheit

Denn auf dem Grand-Place der Stadt geht seit dem 14. Jahrhundert jährlich am Sonntag nach Pfingsten das Folklore-Spektakel "Doudou" über die Bühne: der Kampf von Sankt Georg mit dem Feuer speienden Drachen. Dieses Figurenspiel steht seit dem Jahr 2005 auf der UNESCO-Liste des immateriellen Erbes der Menschheit.

Außerdem widmet sich der Komponist und Dirigent Jean-Paul Dessy in seinem Haus des Hörens l’Arsonic der neuen Musik, aber auch dem Renaissance-Komponisten Roland de Lassus.

Erinnert wird u. a. auch an den Lyriker des Symbolismus Paul Verlaine, der hier im Gefängnis saß, und an Vincent van Gogh, der hier als Pfarrer mit Arbeitern der nahen Kohleminen zusammenlebte: Die Schau "Van Gogh im Borinage – die Geburt eines Künstlers" (24. 1. bis 17. 5.) ist im Museum der Schönen Künste (BAM) zu sehen.

Mit dem Ende des Kohlezeitalters begann der wirtschaftliche Abstieg von Mons. Jetzt will sich die 94.000-Einwohner-Stadt neu erfinden. Vasseur: "Irgendwann muss die Politik entscheiden. Wir müssen den Umstieg schaffen – durch Tourismus, durch Kultur, durch neue Technologien. Wir bieten eine neue Stadt an. Eine Metamorphose der Infrastruktur und des Esprits. Ein echtes Abenteuer, das nicht 2015 endet."

Man hat sogar zeitgenössische Architektur in die Weltkulturerbe-Stadt integriert. So plante der Star-Architekt Daniel Liebeskind das Kongresszentrum und Santiago Calatrava den neuen Bahnhof. Der wird aber erst 2017 fertig sein.

Link: www.mons2015.eu/fr

Bekannt durchs Bier, verrufen durch die Industrie: Das ist Pilsen. Aber kaum einer kennt die Stadt, die ihren Ruf als schmutzige Industriestadt jetzt loswerden will.

Zwar hat die weltberühmte "Pilsener Urquell"-Brauerei jedes Jahr allein eine halbe Million Besucher. Aber heuer will die viertgrößte Stadt Tschechiens doch zeigen, dass sie mehr zu bieten hat.

Als europäische Kulturhauptstadt 2015 plant Pilsen einen nachhaltigen Imagewandel. Die Biermetropole öffnet sich für die Szene der Kreativen. Die einst rußgeschwärzte Industriestadt hat sich herausgeputzt. Am Renaissance-Rathaus glänzt das Stadttier – ein Kamel. Die große Synagoge im maurisch-romanischen Stil ist wieder zu besichtigen. Und die gotische Bartholomäus-Kathedrale hat Ersatz für ihre im Krieg eingeschmolzenen Glocken bekommen.

Symphonie der Glocken

So wird am 17. 1. mit Glockenklang das Hauptstadtjahr eingeläutet. Der künstlerische Leiter Petr Forman, Sohn des Regisseurs Milos Forman, formuliert dazu ein großes Ziel: "Wir wollen mit der Kultur Menschen erreichen, die nicht von selbst kämen und die das auch nicht vermissen."

Pilsens Hauptplatz wird zur Kulisse des ersten Glockenläutens. Forman "plant das alles als eine Theatervorstellung, sie spielt sich im offenen Raum ab und ist für Menschenmassen bestimmt. Die Schönheit der Kathedrale und des Platzes wird zur Schaubühne, und die Menschen werden sich mitten im Geschehen befinden."

Das Jahresprogramm enthalte viele "leicht zugängliche Angebote auf hohem Niveau". Geplant ist ganzjährig Zirkus: Internationale Gruppen ohne Tusch und Tiere treten bis November ständig auf.

Zum Ausstellungshöhepunkt wird Gottfried Lindauer (1839–1926): Der Maler war nach dem Studium in Wien nach Neuseeland ausgewandert. Dort schuf er einzigartige Porträts von Maori-Oberhäuptern. Die Gemälde – noch bis 12. 4. in Berlin zu sehen – sind erstmals in der Geburtsstadt Lindauers ausgestellt. Eine andere Schau ist dem ebenfalls in Pilsen geborenen Animationskünstler Jiri Trnka (1912–1969) gewidmet. "Er war einer der ganz Großen des Puppentrickfilms", sagt Forman. Trnka arbeitete fast ausschließlich mit Handpuppen und verfilmte so auch Jaroslav Hašeks Schelmenroman "Der brave Soldat Schwejk".

Link: www.pilsen.eu

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