Freiheit für das Postermotiv

Was bitte ist das? Bald kann uns der Computer Kandinskys "Komposition in Weiß" (1920) erklären
Moderne Kunst-Klassiker werden frei kopierbar – mit Folgen für Markt, Merchandising und Selfies.

Es sind gute Nachrichten für die Verleger von Kunst-Posters, für Kunsthändler und für Menschen, die sich gern im Internet vor Kunst inszenieren: Einige der meistreproduzierten Kunstwerke der Welt können seit Anfang des Jahres ohne Lizenz kopiert und genutzt werden, das Urheberrecht ist erloschen.

Was seit heuer für Edvard Munchs "Schrei", für Piet Mondrians geometrische Gemälde und Wassily Kandiskys abstrakte Bild-Konstruktionen gilt, wird sukzessive auch für andere große Namen der "Klassischen Moderne" gelten. 70 Jahre müssen seit dem Tod des Schöpfers vergangen sein, dann ist es so weit.

Freiheit für das Postermotiv
In this undated photo provided by Sothebyís Auction House in New York, ìThe Scream,î by Norwegian painter Edvard Munch is shown. The 1895 pastel on board, arguably one of the art world's most recognizable images, will go on view at the Museum of Modern Art in New York beginning Oct. 24, 2012. (Foto:Sothebyís Auction House/AP/dapd)
Nachlassverwalter und Erben haben naturgemäß weniger Freude mit der auslaufenden Schutzfrist: So lange sie aufrecht ist, haben sie die Hoheit über Lizenzverträge und können bestimmen, ob und unter welchen Auflagen etwa ein Motiv auf Fußbodenbeläge, Posters, Servietten oder Seidenschals gedruckt wird. Bei Verwendungen, die Persönlichkeitsrechten zuwiderlaufen – etwa bei politischer Instrumentalisierung – haben Erben auch nach Ende der Schutzfrist noch eine Handhabe gegen Verunglimpfungen, erklärt Günter Schönberger, Geschäftsführer der Gesellschaft "Bildrecht".

Erben kassieren bei Werken, die in Europa verkauft werden, außerdem noch die so genannte "Folgerechtsabgabe", die seit 2010 EU-weit gilt; je nach Marktpreis fallen maximal 12.500 Euro pro Werk ab. Ist ein Künstler länger als 70 Jahre tot, fällt dieser Aufschlag weg.

Selfie ohne Sorgen

Die Schutzfrist spielt aber auch im Alltag mit Social Media und Smartphones eine Rolle: Während des "Museum Selfie Day" am 20. Jänner gingen nicht weniger als 13.000 Selbstporträts, die User vor Kunstwerken in Museen geschossen hatten, via Twitter online. Ist das betreffende Kunstwerk noch urheberrechtlich geschützt, ist das Online-Selfie allerdings ein Rechtsbruch: "Das Ins-Internet-Stellen eines geschützten Werks fällt nicht mehr unter den persönlichen Gebrauch’", erklärt der Anwalt und Urheberrechtsexperte Albrecht Haller.

Bildrecht-Chef Schönberger beteuert zwar, dass seine Gesellschaft nicht Selfie-Polizei spielen und jugendliche Twitter-User abmahnen oder gar klagen möchte. "Wir müssen aber schauen, dass ein Rahmen geschaffen wird, der eine solche Nutzung ermöglicht und dabei Rechteinhaber nicht leer ausgehen lässt", sagt er. Nicht nur Konsumenten sollen dabei in die Pflicht genommen werden (Stichwort "Festplattenabgabe"). Auch Google, Facebook & Co. sollten nach dem Willen der Verwertungsgesellschaften einen Beitrag leisten.

Hemmschuh

Die stets geldknappen Museen werden durch Lizenzgebühren für geschützte Werke allerdings durchaus belastet. Das Wiener mumok etwa schloss 2013 die Digitalisierung seiner Sammlung ab. In die Erfassung wurde – ebenso wie in anderen Bundesmuseen – viel Forschungsgeld investiert. Da aber ein großer Teil der Werke im mumok von Künstlern stammt, die weniger als 70 Jahre tot sind, kann das Museum die Bilder ohne Lizenz nicht online stellen. "Wir würden uns hier eine finanzierbare Ausnahmeregelung wünschen", sagt Stefan Wagner, kaufmännischer Leiter des Museums.

Hinter der Illusion einer "Bilderflut" im Netz steckt in Wirklichkeit also ein ständiger Kampf – zwischen dem legitimen Wunsch nach Verfügbarkeit und dem ebenso legitimen Anliegen der Rechteverwertung. Der berühmte Satz aus Antoine de Saint-Exupérys Buch "Der Kleine Prinz", dessen Schutzfrist ebenfalls mit Jahresbeginn abgelaufen ist, gilt wohl auch für den Kulturbetrieb: "Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

Rechte und Lizenzen sind das Öl des Kulturbetriebs: Theateraufführungen, Ausstellungen, Verfilmungen, Buchveröffentlichungen laufen nur mit Zustimmung der Rechteinhaber – und können von ihnen auch abgedreht werden. Aktuell droht etwa Frank Castorfs Inszenierung von Bertolt Brechts "Baal" am Münchner Residenztheater vom Spielplan zu kippen – der Suhrkamp-Verlag, der mit notorisch strengem Auge über das Brecht-Erbe wacht, will weitere Aufführungen mit einer einstweiligen Verfügung verhindern.

Da verschiedene Länder und Rechtssysteme das Urheberrecht – und diverse davon getrennte "Nutzungsrechte" – oft unterschiedlich handhaben, kommt es im globalen Kulturbetrieb mitunter zu skurrilen Konstellationen. So ist die Schutzfrist für Werke des 1964 verstorbenen James-Bond-Autors Ian Fleming in Kanada mit Anfang 2015 abgelaufen: Dort endet der Schutz nämlich schon 50 Jahre nach dem Tod eines Schöpfers.

International werden die Abenteuer von 007 längst von einer Heerschar von Autoren erweitert und variiert – allerdings behalten Flemings Erben stets die Kontrolle über die Werke und verdienen an deren lukrativer Umsetzung.

Mit Holzfällerhemd

Nun könnte also ein kanadischer Bond auf der Bildfläche erscheinen, vielleicht im Holzfällerhemd und mit einem Faible für Ahornsirup statt für Martini: Die Möglichkeit, einen solchen Charakter als "James Bond" auftreten zu lassen, hätten kanadische Autoren. Allerdings dürfte ein entsprechender Roman nur in Kanada vertrieben werden – einem wenig lukrativen Buchmarkt.

Die Rentabilität eines kanadischen 007-Films ist da erst recht zu bezweifeln; bei der Vermarktung währen wohl auch noch diverse Patentrechte zu beachten.

Ein praktisches Werkzeug, um den urheberrechtlichen Status eines Werks in verschiedenen Systemen zu klären, wurde von der Österreichischen Nationalbibliothek mitentwickelt: die Webseite www.outofcopyright.eu liefert entsprechende Infos.

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