Kultur im Wandel (2): Rollenspiele & Sex

Kultur im Wandel (2): Rollenspiele & Sex
Phänomen Internet: Rollenspiele im dunklen Online-Eck, selbstgezimmerte Identitäten, virtueller Sex - das WWW bietet fast alles.

Im Internet tobt ein Glaubenskampf. Die eine Seite, vorwiegend vertreten durch Politik und Wirtschaft, glaubt, dass Menschen im Internet nicht anonym sein sollten. Denn das, so die Argumente, würde Hass, Verbrechen und gefährlichen Ideologien den Weg ebnen.
Die andere Seite, vorrangig Wissenschaftler, Bürgerrechtler und Aktivisten, glaubt, dass Menschen im Internet ein Recht auf Pseudonyme haben. Denn nur so hätten Minderheiten - etwa politische, sexuelle oder religiöse - eine Chance, ungefährdet ihre Meinung im Netz äußern zu können.

Maskerade

Doch die "Klarnamen"-Diskussion hat neben dem politischen auch einen kulturellen Aspekt. Wer sich online eine neue Identität gibt, spielt eine ganz eigene, lebensnahe Form des Theaters. Diese Rollenspiele sind Hand in Hand mit dem World Wide Web entstanden: Zwischen Wunscherfüllung und Weltflucht haben sich User ein zweites (Online-)Leben verschafft, in dem sie schöner, reicher, gescheiter, witziger - oder was auch immer sonst sein können. Doch diese spielerische Form der Identität, die für viele ein Ventil im Alltag geworden ist, gerät zunehmend unter Druck. Denn online sind die Menschen noch etwas, das vielen nicht passt: kritischer, mit deutlichem Hang zur Revolution.

Zwar sind echte Namen im Internet auf dem Vormarsch. Allein die beiden Web-Unternehmen Google und Facebook konfrontieren künftig etwa die Hälfte aller zwei Milliarden Internetnutzer mit ihrer Klarnamen-Politik. Doch in den Seitengassen des Netzes gärt es. Im virtuellen Untergrund steht Anonymität überall dort hoch im Kurs, wo es um Protest, Geld und Sex geht.

Keimzellen

Nachdem die Webseiten von GIS, FPÖ, SPÖ und den Grünen angegriffen wurden, ist auch in Österreich das Hacker-Kollektiv "Anonymous" ins Rampenlicht gerückt. Die Gruppe kommt aber nicht aus dem Nichts, sondern hat ihre Wurzeln auf der Webseite www.4chan.org , wo sich nach Meinung vieler der "Abschaum des Internets" trifft.

Bei 4chan ist Anonymität Gesetz. Unter Pseudonymen laden mehr als elf Millionen Nutzer täglich unzählige Fotos hoch. Für viele von ihnen ist 4chan ein Ventil: Nirgendwo sonst findet man im Web so viele rassistische, frauenverachtende und beleidigende Kommentare auf einem Haufen wie hier - je vulgärer, desto beliebter. "Jeder Mensch hat einen Ort verdient, an dem er daneben sein kann", sagt 4chan-Gründer Christoph Poole. "Wenn man überall unter derselben Identität auftritt, verliert man die Unschuld der Jugend."

Avatare

Auch "Second Life" hat die Maskerade zum Grundprinzip gemacht. Der Hype um die virtuelle 3-D-Welt, in die jeder gratis einsteigen kann, ist längst abgeklungen - doch Totgesagte leben länger. Wie neueste Unternehmenszahlen offenlegen, floriert der Handel mit Pixel-Gütern und beschert dem US-Betreiber jährlich Umsätze von mehr als 75 Millionen Dollar. Nach wie vor loggen sich etwa 800.000 Nutzer regelmäßig ein, um in die virtuelle Haut ihres Avatars zu schlüpfen. Viele können so ihre geheimen Fantasien ausleben. 15 Prozent der Einnahmen stammen aus virtuellem Sex.

Sex sells

Virtueller Sex ist auch für die Innsbrucker Firma ThriXXX zur Haupteinnahmequelle (3 bis 4 Mio. Euro Jahresumsatz) geworden. Sie hat es zum Weltmarktführer bei 3-D-animierter Porno-Software geschafft. Mehr als 100.000 Nutzer stellen mit der Software ihre Sex-Fantasien mit 3-D-Avataren nach. "Anonymität erleichtert den Einstieg in eine unbekannte Welt", heißt es aus der Firmenzentrale. Auch bei einem von ThriXXX geplanten Portal, einer Art "Facebook für 3-D-Sex", wird Anonymität erlaubt sein. Denn derzeit gebe es zu große Vorbehalte gegen die Verknüpfung des echten Namens mit intimen Gelüsten. - Jakob Steinschaden.

In Teil 3 der Serie lesen Sie: Gadgets als Musik-Instrumente

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