Eine der Thesen, die der Literaturwissenschafter mit seinem Projekt untersuchen wollte, war: Eine KI kann keinen Roman schreiben, weil sie keine Kausalzusammenhänge herstellen kann. „Wenn Sie ChatGPT sagen, er soll Ihnen eine Geschichte erzählen, dann wird Ihnen die kausal zusammenhängend vorkommen. Das ist aber eine Illusion: Denn ChatGPT reproduziert Kausalitäten. Mit anderen Worten: Wenn ich einen Stein fallen lasse, dann weiß ChatGPT, dass er auf den Boden fällt. Aber nicht, weil es eine Vorstellung von Gravitation hat, sondern, weil die Zeichenfolge ,Ein Stein fällt zu Boden’ oft genug in seinen Trainingsdaten vorkommt.“
Bajohr hat für seinen Roman nicht mit ChatGPT gearbeitet, sondern mit einem kleineren Sprachmodell. Dem hat er – unter anderem – vier Romane „vorgelegt“, die Literaturwissenschafter Elias Kreuzmayer als „exemplarisch für eine Literatur der digitalen Gesellschaft“ bezeichnet. „Das wird wohl in Zukunft nicht mehr gehen. Noch ist das eine rechtliche Grauzone, da ist urheberrechtlich nichts reguliert.“
Das praktische Vorgehen kann man sich vorstellen wie bei der Wortvervollständigung am Handy: „Sprach-KIs sagen einfach das nächste Wort voraus. Ich habe einen Buchstaben eingegeben und das Modell hat den zu einem Satz vervollständigt – das ganze Buch hindurch.“ Ganz ohne Eingriffe ging es dann aber doch nicht – weil die Maschine Bajohrs Neugier geweckt hat. „Da kam dann plötzlich eine Figur namens Kieferling vor. Niemand wusste, was das ist. Irgendwann fiel der Satz ,Der Kieferling ist schwanger’, da hab ich gedacht, jetzt will ich’s aber wissen. Und hab einen Satz begonnen mit ,Kieferlings Schwangerschaften sind eine seltene Erscheinung’. Plötzlich erzählt der mir mehr darüber! Das war fast ein Dialog.“
Wo der Kieferling wirklich herkam, ist Bajohr bis zuletzt ein Rätsel geblieben. Er stammt jedenfalls nicht aus den eingespeisten Romanen. Hat die KI die Figur also eigenständig erfunden? „Diese Modelle sind dunkel. Wir können nur spekulieren, warum ein Output so ist, wie er ist. Ich habe große Probleme damit, die Eigenschaften von Personen auf diese Modelle zu projizieren. Das ist immer noch eine Maschine. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass die schöpferisch ist.“
Mittlerweile gibt es sehr viele von ChatGPT geschriebene Bücher auf Amazon. Diese zu erkennen, ist eigentlich nicht möglich, sagt Bajohr. Vielleicht an logischen Fehlern und daran, dass sie sehr selbst gemacht aussehen. Aber einen technischen „KI-Detektor“ gibt es nicht. „Das ist ein Problem, mit dem wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen müssen.“
Bajohr glaubt, dass bestimmte Textsorten in Zukunft sehr wohl von KIs produziert werden. „Bei Wetter-, und Börsenberichten ist das ja schon jetzt so. Buzzfeed arbeitet daran, Texte mit KI so zu personalisieren, nach Alter, Geschlecht, anderen Eigenschaften, dass der Artikel ,für einen selbst’ geschrieben wird. Das kann kein Mensch in der Masse leisten.“ Aber was ist mit Literatur? „Das kommt auf unsere Ansprüche an. Natürlich wird das kein nächster Thomas Mann sein. Aber so etwas wie Perry Rhodan oder Groschenhefte: Die sind formelhaft, haben kombinatorische Elemente – im Grunde genau das, was KI kann.“
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