Wer kurz aus der Welt von Chat GPT, Sprachgeneratoren und bilderzeugenden Computerprogrammen aussteigt und den Lift ins Obergeschoß des Wiener mumok nimmt, wird von einem Konzert aus Assoziationen und Echos empfangen: Da drehen sich beschriebene Walzen und Trichter zu immer neuen Wortkombinationen, daneben hängen abstrakte Zeichnungen auf endlosen Papierbahnen, auf einer anderen Wand Collagen aus wildgewordenen Schaltsymbolen.
Gebetsmühlen? Buddhistische Schriftrollen? Hieroglyphen? Oder doch Ausdruck einer technikfuturistischen Weltsicht, die bei „neuronalen Netzen“ nicht mehr menschliche Nervenbahnen, sondern an verschaltete Rechenoperationen in Großcomputern denkt?
Die große Werkschau der britisch-amerikanischen Künstlerin Liliane Lijn, die das mumok bis zum 4. Mai zeigt, bietet einen hervorragenden Resonanzraum, um den aktuellen Technik-Overkill mit einer Ideengeschichte kurzzuschließen, die weit ins vergangene Jahrhundert zurückreicht.
Lijn, 1939 geboren und seit den späten 1950ern künstlerisch aktiv, schuf über die Jahrzehnte ein überwältigend vielfältiges Werk, das sich aber weder um eine durchgängige Stilistik noch um ein Andocken an vorherrschende Trends scherte, was seiner Bekanntheit wohl nicht förderlich war. Umso verblüffender ist es, nun den vielen Querverbindungen nachzuspüren, die sich in dem lustvoll-chaotischen Stellwandparcours im mumok auftun.
Da wäre etwa die Linie zu den Surrealisten, denen die gebürtige Amerikanerin im Paris der 50er Jahre eher schon im Status der Überreife begegnete – die runden Wimmelbilder mit organischen Formen zeugen davon. Ein anderer Paris-Pilger, ein gewisser Friedensreich Hundertwasser aus Wien, vermittelte Lijn damals eine Wohnung.
Aus der kreativen Ursuppe jener Zeit nahm die wissbegierige Künstlerin einen Sinn für das Zufällige, das Absurde, aber auch für das Kultische mit, es sollte sich später mit den Sprachexperimenten der amerikanischen Beat-Poeten zu jenen „poetry machines“ verbinden, die den Auftakt der Wiener Schau bilden.
Beat-Poesie und Techno-Beat
Die Einsicht, dass Kreativität und Technik einander nicht ausschließen, sondern eher zu neuen, hybriden Formen führen, passt gut zu aktuellen Perspektiven – Lijn schloss sie aber noch mit allerhand spirituellen Ideen kurz, die weniger leicht ins Hier und jetzt zu übertragen sind. Da sind die so genannten „Koans“ – Kegel, die durch Schnitte unterteilt sind und, in Drehung versetzt, damit einem hypnotisch-tänzerischen Eindruck erwecken, was auch einen meditativen Charakter im Sinne des Zen-Buddhismus unterstützen soll.
Andere Skulpturen – teils bekrönt von Plexiglas-Prismen, die mit entsprechender Beleuchtung Lichtspiele an den Wänden sorgen – sind irgendwo zwischen Roboter und archaischer Kultfigur angesiedelt. Bei der Installation „Lady of the Wild Things/Woman of War“ (1983), stehen sich zwei kultische Gestalten mit Laser- und Dampf-Effekten in einer Art Maschinen-Theaterstück gegenüber.
Die Frage, ob manches davon die Kitschgrenze überschreitet, ist falsch gestellt: Entscheidend ist die Einsicht, dass die Konvergenz von Kunst und Technik, aus einer feministischen Perspektive mit Ideen von Kultur und Ökologie zusammengedacht, ganz andere Ergebnisse zutage fördert als jene effizienzzentrierte App-Ästhetik, die unser Bild von Technik bis heute prägt.
Weniger einsichtig ist, warum ausgerechnet das mumok diese höchst sehenswerte Schau gemeinsam mit dem Münchner Haus der Kunst entwickelte (das Museum legt wert auf die Feststellung, dass es die Ausstellung nicht einfach "übernahm", Anm.) Eine Anbindung der Lijn-Schau an das mumok und seine Sammlung gibt es - zumindest vordergründig - nicht, sie hätte ebenso nebenan in die Kunsthalle Wien gepasst. In ihrer nächsten Ausstellung „Radical Software“ (ab 27. 2.) zeigt diese tatsächlich auch Werke von Lijn.
Die kinetische Skulptur im Stiegenhaus – sie gleicht dem Rock einer Tänzerin, der in Drehung versetzt und im Scheinwerferlicht schimmert – legt dann aber zumindest eine Spur in die zweite Ausstellung zu Medardo Rosso, die beim mumok-Besuch nicht versäumt werden darf (bis 23. 2.): Der Bildhauer, der seine Werke aus dem Stillstand des Statuenhaften befreien wollte, nahm nämlich seinerseits Anleihen bei der Tänzerin Loie Fuller, die mit fliegenden Röcken und Lichteffekten die Lichtshows der Gegenwart vorwegnahm. Die Resonanzen der heutigen Technik-Kunst reichen also sogar bis ins 19. Jahrhundert zurück.
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