Dies lässt sich auch in der Kleinkunst feststellen. Die Stars saugen das potenzielle Publikum ab und füllen die größten Hallen; in den traditionellen Kabaretts hingegen herrscht Katzenjammer vor.
Michael Niavarani, der sich quasi selbst konkurrenziert, könnte ein Lied davon singen. Sein Simpl in der Wollzeile feiert das 110-jährige Bestehen mit einer Revue, in der unter dem Titel „Des Bullis Kern“ – das Maskottchen ist bekanntlich eine rote Bulldogge – auch ein nostalgischer Blick zurück geworfen wird. In gewohnter Manier schlüpft das siebenköpfige, äußerst spielfreudige Ensemble andauernd in neue Kostüme, es gibt hinreißenden Slapstick (zum Beispiel von Matthias Mamedof als Zahnarzt) und tagespolitischen Stand-up (von Conférencier Joachim Brandl), doch selbst in der lockeren Corona-Bestuhlung – man hat jede zweite Sesselreihe entfernt – ist das Simpl nicht voll. Das dürfte wohl auch am altväterlichen Konzept der Nummernrevue liegen.
Zur genau gleichen Zeit brummt das Globe, das Niavarani zusammen mit Georg Hoanzl in der Marxhalle gänzlich ohne Subventionen betreibt (quasi als winterfestes Theater im Park): Jede Vorstellung von Alex Kristan ist ausverkauft – und das Globe hat ungleich mehr Sitzplätze als das Volkstheater.
Auch wenn sich sein erst viertes Programm „50 Shades of Schmäh“ nennt, kommt Kristan nicht in der „Latex-Panier“ auf die Bühne: Der Mödlinger wurde eben 50 im Frühjahr. Das erste Lebensdrittel sei jetzt leider vorbei, das Älterwerden erachtet Kristan, der ewige Rotzbub, dennoch als etwas sehr Schönes. Vor allem in Anbetracht der Alternative.
Kristan spricht Krieg und Krise an. Aber messianisch macht er seinem Publikum Mut – indem er als „Berufsoptimist“ in erster Linie über sich und seine Familie redet: Die Flasche sei zwar halb leer, er aber dafür halb voll.
Die Witze des Opas könnte man heute wohl nicht mehr erzählen, es macht ihm jedoch diebische Freude, weiterhin politisch unkorrekt zu sein. Weil eben beim Kinderfasching der Winnetou mit der Lillifee schmusen geht – und nicht der Biogärtner. Er kritisiert die „Cancel culture“, die Fußball-WM in Katar, die Tricks der Immobilienhaie, er ätzt über Starbucks, animiert die Männer zur Vorsorgeuntersuchung – und er ist überzeugt, dass 98 Prozent der Frauen lieber als eine gegenderte Bundeshymne das gleiche Gehalt wie Männer hätten. Und weil er nichts schuldig bleiben will, imitiert er Niki Lauda als Apotheker. Kristan ist definitiv ein Antidepressivum.
Kommentare