Kontroverse um Arnulf Rainer: Sagen Sie nicht Kruzifix dazu!
„Das Religiöse ist etwas Allgemeines, das Konfessionelle läuft in einem gewissen Flussbett. Ich meine, dass das Allgemeine schon wichtig ist für meine Kunst – das Konfessionelle nicht so.“
Mit diesen Worten beschrieb Arnulf Rainer sein Verhältnis zur Religion, als ihn der KURIER 2009 in seinem oberösterreichischen Domizil interviewte.
Viele ähnliche Aussagen sind von ihm überliefert: Sie zeichnen das Bild eines Künstlers, der das Spirituelle stets in einem weiteren Kontext als jenem der Kirchen sah, es aber nicht negierte.
Nun scheint der Künstler das „Flussbett“ der katholischen Kirche hinter sich lassen zu wollen. Der Weg dorthin führt aber nicht über das Feld der Kunsttheorie oder Theologie (wo Rainer zweimal eine Ehrendoktorwürde verliehen wurde), sondern über geharnischte Briefe.
Der Vorwurf
Einen solchen versendete Rainers Anwalt Alexander Pflaum wie berichtet am Ende der Vorwoche, um gegen die in der Fastenzeit 2026 geplante Ausstellung von 77 Rainer-Kreuzbildern im Stephansdom zu protestieren: Der Künstler fühle sich davon „kirchlich vereinnahmt“.
Rainer selbst setzte diese Woche nach: „Die Missinterpretation und falsche Auslegung meiner in Jahrzehnten geschaffenen Werke ist für mich als Künstler eine große Demütigung“, heißt es in einem Schreiben an Dompfarrer Toni Faber, das dem KURIER vorliegt.
Der adressierte Geistliche zeigt sich auf Nachfrage irritiert: „Ich muss aber sagen, dass das Kreuz über jede Kirchenmitgliedschaft und Gesinnung hinausgeht und ich mir gern die Freiheit nehme, Menschen mit dem Kreuz zu konfrontieren, wenn ich die Zustimmung des Künstlers nicht habe“, sagt er. Die Schau soll also wie geplant am 17. Februar eröffnen.
Die Episode wirft komplexe Fragen auf: Hat sich im Verhältnis zwischen Bildender Kunst und Kirche in Österreich etwas Grundlegendes verschoben? Inwieweit kann ein Künstler über die Deutung seines Werks verfügen? Und: Kann ein Kreuz tatsächlich abseits seiner christlichen Symbolik gesehen werden?
Die Kreuzform findet sich seit den 1950ern immer wieder in Rainers Werk, viele formale Überlegungen knüpfen daran an. Die von Anwalt Pflaum formulierte Behauptung, Rainer habe „sein künstlerisches Schaffen niemals in einen sakralen Zusammenhang gebracht“, erscheint allerdings schwer haltbar: In der Landhauskapelle St. Pölten, in der Kapelle des Priesterseminars der Diözese Graz-Seckau, in der evangelischen Stadtkirche von Kemberg (D) finden sich etwa Rainer-Kreuze, ohne dass sich der Künstler dort über „Vereinnahmung“ beschwert hätte. Rainer gestaltete 1998 auch eine Bibel.
Das Missverständnis
„Wir haben um die 80 Dinge recherchiert, die Rainer mit der oder für die Kirche gemacht hat“, sagt der Sammler Werner Trenker im KURIER-Gespräch. Er sah also kein Problem mit der Idee, seine Kollektion von 70 Kaltnadelradierungen des Kreuzmotivs im Stephansdom zu zeigen. Zwei andere Vorschläge für Ausstellungsorte hätten Rainer und seine Frau Hannelore Ditz zuvor abgelehnt. Eine Aussage Ditz’, wonach ihr die Münchner Pinakothek lieber gewesen, der Stephansdom aber in Ordnung sei, wertete Trenker als Zusage – „ein offensichtliches Missverständnis“, wie es im jüngsten Brief von Rainers Anwalt hieß.
Trenker ist nun um Kalmierung bemüht. Er weiß aber auch, dass Rainer die Deutung seiner Werke nicht endgültig bestimmen kann: „Die Freiheit der Kunst gilt auch für Museen, Sammler und Betrachter, die die Freiheit haben, sich etwas dazu zu denken“, sagt Trenker. „Es bleibt dem Betrachter überlassen, im Kreuz auch ein religiöses Symbol zu sehen.“
Die Neutralitätsfrage
Zu diskutieren ist auch die Frage, wie tief gewissen Formen spirituelle Bedeutungen eingeschrieben sind. „Wenn man ein Kreuz in einen Ausstellungsraum stellt, tut das etwas mit dem Raum“, weiß der künstlerische Leiter des Wiener Künstlerhauses, Günther Oberhollenzer. In seiner aktuellen Schau zum Thema „Du sollst dir ein Bild machen – Kunst und Religion“ zeigt er auch Rainer-Kreuze.
„Rainer spielt ja mit diesen Bedeutungsebenen“, befindet der Kurator, der aber auch um die Bedeutung des Kontexts weiß: Ein Kunstraum sei neutraler als eine säkularisierte Kirche wie jene in St. Peter an der Sperr in Wiener Neustadt, die Sammler Trenker zuletzt mit Kunst bespielte. Der Stephansdom als wohl prominentester aktiver Sakralraum Österreichs prägt die Perspektiven noch einmal in anderer Weise.
Dompfarrer Faber hält dem entgegen, dass auch andere, nicht kirchennahe Künstler wie Erwin Wurm oder Alfred Hrdlicka bereits Werke in dem Gotteshaus präsentiert hätten. Er hofft auf einen „konstruktiven Diskurs“. Bis zur Eröffnung sei ja noch Zeit.
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