Eigentlich passiert auf der Bühne Tschechows nie viel.
Aber hier umso mehr. Clownerie und Slapstick Comedy. Mit Hang zur Groteske.
Einer kotzt, eine kratzt sich exzessiv. Einer hampelt herum, ein anderer fällt hin. Nicht ein- oder zweimal sondern viele Male. Und Warja wartet auf einen Heiratsantrag: Silvia Meisterle gibt der zwiespältigen Aschenbrödelrolle des in Ängsten erstarrten Mädchens Kontur.
Niermeyer, die an der Staatsoper die „Fidelio“-Urfassung „Leonore“ (ab 1. 2.) inszenieren wird, dekonstruiert den Klassiker – ein russisches Zeitbild aus den ersten Tagen des 20. Jahrhunderts – und zeigt die Stillstandsgesellschaft als überhitzte Farce.
Tschechow auf Speed. Nicht wohltemperiert.
Früher war das Glück – und heute? Heute wird Party gefeiert. Die meist outrierenden Theatraliker selbst vermasselten Glücks agieren extrem körperbetont, laufen hysterisch umher, prallen aneinander und verrennen sich handlungsfrei im Turm auf der meist rotierenden Drehbühne. Hoffnung, Liebe, Sehnsucht, Geld treibt die jammernden Sensibelchen an der Zeitenwende an.
Nur in den Tag hineinlebende Taugenichtse, „ökonomisch anämisch“ nennt sie der Protzbauer und neureiche Kapitalist Lopachin (Raphael von Bargen), tragische Helden und tote Seelen sowieso.
Vom Stück bleibt nach Text-Kahlschlag wenig mehr übrig als eine schräge, absurd-komische Sitcom. Mit vielen heftigen, übertriebenen Gesten und wenig Morbidezza der Wehmut. Mit Alexander Absenger, der die Gouvernante Charlotta als exaltierte Dragqueen wie ein As ausspielt und viel Tohuwabohu – schön kontrastiert durch die starke Stimme und tolle Songs (als „Cherry Orchard“ auf CD erhältlich) des in Wien lebenden US-Musikers Ian Fisher.
Herausragend in allen Farben ihres großen Könnens: Sona MacDonald als weltfremde, aus Paris heimgekehrte Gutsbesitzerin.
Ihr Bruder Gajew (Götz Schulte) ist eine verschrobene, liebenswerte, traurig-komische Figur. Gioia Osthoff als Anja die fröhliche Blüte im tragischen Kirschgarten. Und Robert Joseph Bartl ein schrulliger Gutsbesitzer.
Nikolaus Barton als ewiger Student Trofimov wehrt sich als Fortschrittsgläubiger, dass eine Welt ohne Ziele und Ideale mit abgestumpften Menschen vor unser aller Augen zugrunde geht.
Am Ende ziehen alle wie Vertriebene aus dem Paradies mit leeren Händen von dannen. Zurück bleibt, von allen vergessen, der berührend von Otto Schenk verkörperte greise Diener Firs – Überbleibsel einer alten Welt, das in der neuen keinen Platz mehr hat. Wo sogar der Kirschgarten der Profitgier geopfert wird.
Firs legt sich im leeren Haus zum Sterben, während die ersten Bäume des Gartens abgeholzt werden und sagt: „Das Leben ist vergangen, als hätte ich nicht gelebt.“
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