Beim KURIER-Interview präsentiert sich Haifaa al-Mansour in moderner Kleidung, ohne Kopftuch und mit viel Energie, der politischen Botschaft ihres Films entsprechend Gehör zu verschaffen.
KURIER: Sie sind die erste saudische Regisseurin überhaupt. Was wollen Sie mit Ihren Filmen erreichen? Haifaa al-Mansour: Ich will Vorbilder erschaffen, damit diese in der Realität Nachahmung finden und von der Gesellschaft akzeptiert werden. Ich will meine Landsleute nicht belehren, sondern eine breite Debatte über die Rechte der Frauen in Nahost anstoßen.
Mit Ihrem 2012 entstandenen Debüt-Film „Wadjda“ - über eine Elfjährige, die sich nichts sehnlicher wünscht als ein Fahrrad – haben Sie erreicht, dass Mädchen in Saudi-Arabien Radfahren dürfen – was bis zu Ihrem Film verboten war. Was hat sich seither sonst noch alles verändert?
Das Konzept der Moderne ist hier nie richtig angekommen – schon gar nicht für Frauen. Dort bricht man die Regeln schon, wenn man aus dem Haus geht. Bei den Dreharbeiten zu „Wadjda“ musste ich noch aus einem Kleinbus heraus mit Monitor und Walkie-Talkie Regie führen. Undenkbar wäre es gewesen, dass ich in aller Öffentlichkeit Männern Anweisungen erteile. Natürlich war auch bei diesem Film ein bürokratischer Kraftakt nötig, um alle nötigen Drehgenehmigungen zu bekommen. Immerhin durfte ich diesmal draußen auf der Straße agieren und direkt mit den männlichen Schauspielern und Kameraleuten sprechen.
Hätte es ein männlicher Regisseur mit dieser Geschichte leichter gehabt? Es scheint nur so, dass die Männer in Saudi-Arabien mehr Freiheit haben. Auch für sie gibt es viele Regeln und gesellschaftliche Zwänge. Eigentlich muss sich das ganze System ändern, damit wir gesündere Beziehungen zwischen Männern und Frauen bekommen. Einfacher wäre es natürlich, meine Filme in den USA oder in Europa zu drehen. Aber es geht mir um die Erweiterung der Möglichkeiten für Frauen und für Männer im arabischen Raum.
Wie stark ist denn der Wunsch der Gesellschaft, sich zu verändern und auf welche Art und Weise? Denn im Rest der Welt oder gerade im Nahen Osten gibt es ja sehr viel Gewalt.
Am liebsten wäre mir, wenn der politische Wandel von Frauen und Männern gleichermaßen ausgehen würde, aber in der Realität müssen wohl die Frauen die treibendende Kraft sein. Dafür brauchen sie aber den freien Zugang zu Bildung und Kultur, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Gleichberechtigung. Daran mitzuwirken sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben für mich als Filmemacherin. Wir haben in unserem Land schon allzu lange keine Musik, keine bildende Kunst und keine Literatur. Mit dem Wandel des Kunstverständnisses kommt auch der Wandel der Gesellschaft.
Sie leben in den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump. Er ist zwar in gutem Einvernehmen mit Saudi-Arabien, aber die Stabilisierung der politischen Verhältnisse im Nahen Osten scheint weiter entfernt denn je. Wie sehen Sie das?
Die Spannungen in dieser Region haben vor allem viel mit Religion zu tun. Fundamentalistische Religionsführer versuchen den Einfluss der Idee von Gleichberechtigung, wie sie in säkularen Ländern gefordert wird, mit allen Mitteln und oft auch mit Gewalt zurückzudrängen. Ich kann also nur hoffen, dass sich Saudi-Arabien und auch alle Nachbarländer mehr dem Säkularismus zuwenden.
Es gibt in Österreich – wie auch in anderen Ländern Europas – Diskussionen rund um die Kopfbedeckung muslimischer Frauen. Wie ist da Ihre Position?
Auch unter muslimischen Frauen gibt es wieder Diskussionen, welche Bedeutung Kopftuch und Hijab haben. Ich finde, dass die Verhüllung von Gesicht und Körper Frauen zu Objekten macht und das lehne ich ab. Man sollte die Kleidung nicht zu einer politischen oder religiösen Agenda machen. Frauen sollen selbst entscheiden können, was sie tragen wollen. Und wenn die Entscheidung für ein Kopftuch ihrem freien Willen entspricht, dann sollte das auch von den Mitmenschen so respektiert werden.
Sie tragen kein Kopftuch – wie war das in Ihrer Kindheit und Jugend?
In Saudi-Arabien wurde mir immer gesagt, dass ich meinen Körper als verlockende Süßigkeit sehen soll, die man verhüllen muss (lacht). Man beschuldigt das Opfer, die Täter – also die Männer – durch das Herzeigen der weiblichen Reize zu Übergriffen geradezu herauszufordern. Ich musste in meiner Jugend sogar das Gesicht hinter einem Schleier verstecken. Gottseidank lockert sich das jetzt, denn das Gesicht ist das Fenster zur Identität eines Menschen und diese verhüllen zu müssen, finde ich ungeheuerlich. Wir sollten stolz auf unsere Gesichter sein und sie immer und allen zeigen. Meiner Ansicht nach sollten die Männer gegen Kopftuch und Hijab protestieren, weil die Verhüllung der Frauen ja so gedeutet werden könnte, dass muslimische Männer ihre Triebe nicht im Zaum halten können.
Ihr Vater war Ihrer Entwicklung und ihrer Identität offenbar nicht im Weg. Wie sieht er Ihre Karriere?
Mein Vater war ein sehr sanfter Mann, von dem wir nie ein lautes Wort gehört haben. Und er hat uns auch gefördert. Aber das Selbstbewusstsein, mich als Frau durchzusetzen, musste ich mir selbst erarbeiten. Durch den Zugang zu Bildung, Kunst, Literatur und Philosophie bin ich zu dem geworden, was ich heute bin – und das sollten wir allen Menschen ermöglichen.
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